Hörüberprüfungen im Kontext Taubblindheit/Hörsehbehinderung
In der Stiftung St. Franziskus in Schramberg-Heiligenbronn entstand während der letzten 15 Jahre ein besonderer Fachdienst: die Pädagogische Audiologie für Kinder und Jugendliche mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung (Pädagogische Audiologie TB) am Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum Sehen (SBBZ Sehen). Dabei etablierte das Team dieses spezifischen Fachdienstes – Astrid Borck, Beate Alffermann, Monika Klaus und Sandra Siebert – eine diagnostische Vorgehensweise, mit der Hörüberprüfungen beim Personenkreis der Kinder, Jugendlichen und teils jungen Erwachsenen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung, meist mit weiteren Behinderungen, durchgeführt werden können. Dieser Personenkreis gilt häufig als „nicht testbar“ und kann deshalb nicht oder nur unzureichend mit Hörhilfen versorgt werden. Durch Kooperationen mit dem Schulpädakustiker und der Sektion Phoniatrie und Pädaudiologie der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde des Universitätsklinikums Freiburg können die gewonnenen Ergebnisse tragfähig und nutzbar für die weitere Versorgung oder Umversorgung mit Hörhilfen gemacht werden. Die Beratung der Eltern und weiterer mit den Klientinnen und Klienten arbeitenden Personen ist fester Bestandteil der täglichen Arbeit. Das Ziel der Mitarbeiterinnen der Pädagogischen Audiologie TB ist dabei immer die Lebenszufriedenheit und das Wohl der betreuten Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Die regelmäßige eigene Fortbildung in Medizin, Technik und taubblindenspezifischen Themen sowie die Weitergabe des Wissens an das Kollegium und auf Anfrage auch an weitere mit der Klientel arbeitende Personenkreise ist eine der Aufgaben der Mitarbeiterinnen. Der Fachdienst ist sowohl Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen kostenfrei zugänglich, die das SBBZ Sehen vor Ort in Heiligenbronn besuchen, als auch Personen, welche durch dessen Beratungsstellen betreut werden. Ebenso stehen die Leistungen externen Anfragen zur Verfügung. Die individuell gestaltete Hörüberprüfung findet dabei nicht einmalig statt, sondern wird anlassbezogen durchgeführt bzw. in einem regelmäßigen Turnus wiederholt.
Bekannt ist möglicherweise der Begriff „Audiometrie“ als Sammelbegriff für verschiedene Untersuchungsverfahren des Hörens. Dabei gibt es sowohl die subjektive Audiometrie, also eine Untersuchung unter Mitwirkung der Testperson, zum Beispiel durch Drücken eines Buttons beim Wahrnehmen eines Tons aus einem Kopfhörer, als auch die objektive Audiometrie, bei der die Testperson keinerlei subjektive Angaben zur Hörwahrnehmung machen muss, beispielsweise beim Messen der Antwort des Gehirns während des Hörens eines Sondentons. Diese Verfahren werden im medizinischen Kontext als ein Baustein genutzt, um Ergebnisse über das Hörvermögen für die Diagnosestellung und Hilfsmittelversorgung zu gewinnen. Vermutlich nimmt fast jede oder jeder irgendwann einmal an einer subjektiven Hörtestung teil.
In der Pädagogischen Audiologie werden für die Diagnostik fast ausschließlich Verfahren der subjektiven Audiometrie genutzt, um Erkenntnisse über das Hörvermögen eines Kindes oder Jugendlichen zu gewinnen. Dabei ist bei der klassischen Testung die Mitwirkung der Testperson durch Drücken, Zeigen oder (Nach-)Sprechen notwendig. Des Weiteren können in der Arbeit mit Kindern je nach Alter und Entwicklung Verfahren der Spiel- oder Verhaltens-Beobachtungs-Audiometrie genutzt werden: Bei der Spielaudiometrie wird eine Spielhandlung im Rahmen des Hörtests ausgeführt. Beispielsweise fädelt ein Kind immer eine Perle auf, wenn es das Prüfsignal hört. So kann die Hörschwelle ermittelt werden. Bei der Verhaltens-Beobachtungs-Audiometrie wird die Verhaltensänderung eines Kindes als Reaktion auf den Prüfton beobachtet. Man erhält Erkenntnisse über die Reaktionsschwelle, die meist etwas schlechter ist als die tatsächliche Hörschwelle. „Die Pädagogische Audiologie stellt […] eine zentrale Säule in der Hörgeschädigtenpädagogik dar. Sie ist unerlässlich zur fördergeleiteten Verlaufs- und Kontrolldiagnostik als Grundlage einer qualitativ hochwertigen, den heutigen Chancen von Kindern und Jugendlichen gerecht werdenden Hörgeschädigtenpädagogik“ (BDH 2020, 2). Die regelmäßige Erfassung des Hörstatus, die Überprüfung der Hörtechnik auf ihren adäquaten Nutzen sowie die daraus resultierenden Fördermaßnahmen sind wichtige Bausteine im pädagogischen Kontext. Interdisziplinäre Kooperationen sind dabei wichtig. In der Pädagogischen Audiologie arbeiten Pädagoginnen und Pädagogen und kein medizinisches Fachpersonal.
Doch wie kann die Arbeit in der Pädagogischen Audiologie bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen aussehen, wenn diese selbst keine offensichtliche Rückmeldung geben können bzw. nicht verstehen, wie sie Rückmeldung geben könnten, da sie über kein konventionelles Sprachsystem zur Vermittlung des Vorgehens verfügen? Die vier Mitarbeiterinnen der Pädagogischen Audiologie TB der Stiftung St. Franziskus, allesamt gebärdenkompetente Sonderpädagoginnen mit den studierten Fachrichtungen Sehbehinderten- und Blindenpädagogik sowie Hörgeschädigtenpädagogik und einem sich stetig erweiternden Fachwissen im Bereich Hörsehbehinderung und Taubblindheit sowie vielfältigen Erfahrungen in der Frühförderung und dem Sonderpädagogischen Dienst für Kinder und Jugendliche mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung und/oder dem Schulbereich Taubblindheit, haben unter der Leitung von Astrid Borck eine Vorgehensweise entwickelt, die sich als sinnvoll und gewinnbringend erwiesen hat. Im Folgenden soll sie in ihren Grundzügen vorgestellt werden.
Viele der Kinder und Jugendlichen, welche die Pädagogische Audiologie TB besuchen, gelten als „nicht testbar“: Im klinischen Alltag, der oftmals von einem großen zeitlichen Druck, langen Wartezeiten und einer fehlenden Beziehung zu den kleinen und großen Patientinnen und Patienten mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung geprägt ist, können oft keine zuverlässigen Angaben bezüglich des Hörvermögens gewonnen werden. Daher ist der Ansatz der Mitarbeiterinnen ein anderer:
Im ersten Schritt gewinnen die Sonderpädagoginnen so viele Vorinformationen und Erkenntnisse über das Kind oder den Jugendlichen wie möglich. Hierbei unterstützt der Stammdatenbogen, der von den Eltern, den betreuenden Lehrkräften bzw. Erzieherinnen und Erziehern und weiteren mit dem Kind oder Jugendlichen arbeitenden Personen ausgefüllt wird. So gewinnen die vier Kolleginnen einen ersten Eindruck der Person, bei welcher das Hören überprüft werden soll. In diesem aufgrund des Erfahrungswissens entwickelten Stammdatenbogen werden neben persönlichen Daten wie der Anschrift auch die individuelle Fragestellung für die Hörüberprüfung erfragt, ebenso medizinische Daten (Notfallmedikamente, medizinische Vorgeschichte bezüglich des Hörens und Sehens, weitere Diagnosen), die bisherige Hilfsmittelversorgung, das Trageverhalten der bisherigen Hörhilfen (sofern vorhanden), Beobachtungen zum Hörverhalten mit und ohne Hörhilfen, Vorlieben und Abneigungen der Klientin oder des Klienten. Auch eine Schweigepflichtsentbindung befindet sich darin, um bei Bedarf mit weiteren Disziplinen in Kontakt treten zu können. Zusätzlich zum Erkenntnisgewinn durch den Stammdatenbogen und einem Einblick in die medizinischen Unterlagen können Gespräche mit den Bezugspersonen stattfinden, in denen weitere Fragen zum bisherigen Hörverhalten geklärt werden können.
In einem zweiten Schritt besteht die Möglichkeit, dass die Mitarbeiterinnen der Pädagogischen Audiologie TB vor Ort in den Klassen hospitieren, um die Klientinnen und Klienten, welche das Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentrum Sehen in Schramberg-Heiligenbronn besuchen, näher in ihrem (Hör-)Verhalten kennenzulernen und eine erste Vertrauensbasis aufzubauen. Alle machen sich miteinander vertraut, lernen sich gegenseitig in den kommunikativen Möglichkeiten und Fähigkeiten kennen, eine erste Beziehung entsteht. Darüber hinaus erhalten die Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Möglichkeit, die Räumlichkeiten der Pädagogischen Audiologie, die sich nicht im gleichen Schulgebäude befinden, mit allen Sinnen zu erkunden, auszuprobieren, wie sich beispielsweise die Wände anfühlen, wie der Raum riecht, wo sich was befindet, wo man sich setzen kann, wo die Toilette ist usw. Vielleicht können bereits erste Lieder oder Klänge über das Audiometer vorgespielt werden, beispielsweise Lieblingslieder oder positiv belegte Geräusche. Dieser Schritt ist immens wichtig, da nur so gegenseitiges Vertrauen auf- und mögliche Angst vor einer fremden und unbekannten Situation abgebaut werden kann. Der zeitliche Rahmen für diesen Schritt ist dabei nicht fest, sondern wird an die Bedarfe des Kindes oder Jugendlichen angepasst: Ob eine Stunde oder ein Kennenlernen über mehrere Wochen, alles ist möglich! Damit die Sonderpädagoginnen allen Kindern und Jugendlichen gerecht werden können, sind die Räumlichkeiten der Pädagogischen Audiologie barrierefrei. Die besonderen Rahmenbedingungen in dieser Pädagogischen Audiologie lassen ein individuelles Vorgehen angepasst an das Kind, an seine Persönlichkeit, seine Kompetenzen, seine Vorlieben zu.
Im dritten Prozessschritt finden die Konditionierung im Konditionierungsraum bzw. die eigentliche Testung im reizarmen und schallgedämmten Testraum statt. Beide Räume sind mit einem vollumfänglich ausgestatteten Audiometer, einem Lautsprecher-Vollkreis und verschiedenen Kopfhörern ausgestattet. Der Übergang zwischen dem zweiten und dem dritten Schritt ist dabei fließend. Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten, um zu einem Ergebnis zu kommen: die Testung über Lautsprecherboxen und die Testung mittels Kopfhörer. Bei der Testung über Lautsprecherboxen können immer nur Aussagen über das besser hörende Ohr getroffen werden, da beide Ohren gleichzeitig im freien Raum getestet werden und die Ergebnisse mit dem besser hörenden Ohr zustande kommen. Daher ist das Ziel immer eine seitengetrennte Messung mit dem Kopfhörer, bei dem die Prüfsignale entweder auf dem einen oder auf dem anderen Ohr dargeboten werden können und so ein seitengetrenntes Ergebnis entsteht. Allerdings haben viele der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung in der Vergangenheit negative Erfahrungen mit Berührungen am Kopf gemacht, sei es bei der Medikamentengabe oder bei Untersuchungen, sodass häufig eine Ablehnungsreaktion gegenüber dem Kopfhörer erfolgt. Daher wird oft mit einem Kopfhörertraining mit Musik im Klassenverbund mit einer Bezugsperson zusammen unter Anleitung der Mitarbeiterinnen der Pädagogischen Audiologie TB und/oder in den Räumlichkeiten der Pädagogischen Audiologie begonnen. Dabei geht es um die Akzeptanz des Kopfhörers auf den Ohren, aus dessen Lautsprechern letztendlich frequenzspezifische Prüftöne gespielt werden sollen, auf die eine reproduzierbare Antwort in Form einer Aktion oder einer Körperveränderung folgen soll. Bis dahin ist es allerdings oft ein weiter Weg, der jedoch jede Mühe wert ist! Je nach Möglichkeit der Klientin oder des Klienten wählen die Mitarbeiterinnen dabei die Vorgehensweise: Ein taubblindes Kind lernt beispielsweise, beim Wahrnehmen eines Tons die Hand auszustrecken, da diese dann als positiver Verstärker mit Wasser besprüht wird, was dieses Kind über alles liebt. Ein anderer Jugendlicher steckt einen Holzbaustein in ein Steckbrett, eine Jugendliche wird durch einen Luftzug ins Gesicht bestätigt, dass sie das Prüfsignal wahrgenommen hat, ein junger Erwachsener erhält als positiver Verstärker im abgedunkelten Raum einen Lichtreiz, zu dem er beim Wahrnehmen des Prüftons den Kopf hinwendet. Schafft es die Klientin oder der Klient (noch) nicht, eine eindeutige „Antwort“ auf einen Reiz in Form des Prüfsignals in dieser Form zu geben, beobachten die Mitarbeiterinnen das Verhalten des Kindes oder Jugendlichen während der Testung. Eine Veränderung in der Körperspannung oder der Atemfrequenz, das kurze Aufreißen der Augen, eine leichte Fußbewegung unter dem Tisch – die Bandbreite an Hörreaktionen ist dabei groß, die Variabilität vielfältig.
Beim Hörtest nimmt die zu prüfende Person nach Möglichkeit an einem fest definierten Messpunkt in einem Kreis aus Lautsprechern Platz, sei es auf einem Kinderstuhl, im Rehabuggy oder auf dem Schoß einer Bezugsperson, bei Bedarf jüngere Kinder auch liegend auf dem Tisch unter Beachtung des Abstandes zum Lautsprecher, aus dem das Prüfsignal abgespielt wird. In Heiligenbronn gibt es darüber hinaus die Möglichkeit, einen zweiten Messpunkt an einem anderen Ort im Testraum als dem dafür vorgesehenen aufzubauen. So können die Kinder und Jugendlichen beispielsweise auch in einem Sitzsack auf dem Boden liegend einen Hörtest machen. Wichtig ist, dass die Kinder und Jugendlichen immer möglichst entspannt sein sollen und sich nicht mit Dingen beschäftigen müssen, die vom Hören ablenken können, wie einer unbequemen Sitz- oder Lagerungsposition. Generell findet eine Testung immer im Zweierteam statt, bei Bedarf sogar im Dreierteam, sodass eine Mitarbeiterin das Audiometer bedienen kann, eine beim Kind ist, ihm Sicherheit vermitteln und es beobachten oder mit ihm beispielsweise Übungen zur Konditionierung machen kann. Eine dritte Mitarbeiterin fungiert je nach Situation als zusätzliche Beobachterin für minimalste Bewegungen und damit Hörreaktionen. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, die Testung zu filmen und im Nachhinein zu analysieren: Sind Hörreaktionen beobachtbar? Falls ja, welche und wann? Die Sonderpädagoginnen versuchen dabei immer, so nah wie möglich am standardisierten Hörtest-Ablauf zu bleiben, den Testablauf dabei aber so individuell wie nötig zu gestalten.
Die reizarme Raumgestaltung ermöglicht eine möglichst gute Konzentration auf das Hören und keine Ablenkung durch weitere Sinneseindrücke. Erfahrungswerte zeigen, dass so Hörreaktionen für die begleitenden Bezugspersonen oft erstmals richtig sichtbar werden und die Erkenntnis entstehen kann: „Das Kind hört ja doch!“ Das über viele Jahre gesammelte Erfahrungswissen der Mitarbeiterinnen der Pädagogischen Audiologie TB und die an das Individuum angepasste Hörüberprüfung sind hier grundlegend und der Ausgangspunkt für eine genauere Aussage bezüglich des Hörvermögens eines Kindes oder Jugendlichen mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung.
Abbildung 1: Audiometer mit Messpunkt (Team Pädagogische Audiologie)
Abbildung 2: Jugendlicher mit Taubblindheit beim Hörtest (Team Pädagogische Audiologie)
Diese Phase, deren Ziel es ist, reproduzierbare Hörreaktionen zu bekommen, ist je nach Kind oder Jugendlichem von individuell unterschiedlicher Dauer: Bei einem Kind können nach einer Testung reproduzierbare Testergebnisse gemessen werden, bei einem anderen Jugendlichen dauert es mehrere Wochen, manchmal mehrere Monate, bis ein mehrfach bestätigtes Ergebnis feststeht.
Das Team der Sonderpädagoginnen interpretiert nun die gewonnenen Testergebnisse vor dem Hintergrund der Fragestellung der Testung und wertet diese aus. Je nach Fragestellung im Vorfeld findet nun eine individuelle Beratung der Bezugspersonen bzw. des Umfelds des Kindes oder der Jugendlichen mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung statt: Hat sich das Hörvermögen verschlechtert? Sollte das Kind neue Hörhilfen bekommen? Ist Zusatztechnik ergänzend zu den Hörhilfen für den Jugendlichen nötig? Welche alternative Versorgung könnte sinnvoll sein? Sollten eventuell weitere objektive Messungen gemacht werden? Wie kann im Alltag das Hören gefördert werden? Wie kann das Kind an die Hörhilfe gewöhnt werden? Welche Situationen sind für die Klientin akustisch herausfordernd und wie könnte damit umgegangen werden?
Um diese Fragen bei Bedarf weiter klären zu können, bestehen seit 2017 Kooperationen mit dem Schulpädakustiker Torsten Saile des „Hörhauses“ und „Dein Hörzentrum“ in Tuttlingen sowie der Sektion Phoniatrie und Pädaudiologie der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde des Universitätsklinikums Freiburg, vertreten durch den Pädaudiologen Dr. med. Rainer Beck.
An monatlich mehrfach stattfindenden Terminen besucht der Schulpädakustiker die Räumlichkeiten der Pädagogischen Audiologie in Heiligenbronn, um vor Ort zusammen mit dem Team der Mitarbeiterinnen der Pädagogischen Audiologie TB und beispielsweise den Bezugspersonen des Kindes aus der Klasse oder den Eltern der Jugendlichen die Hörhilfen besser anzupassen, neue Hörhilfen auszuwählen oder die Klientin oder den Klienten mit Zusatztechnik zu versorgen. Erweitert wird das Angebot durch Service- und Beratungsleistungen. Dabei helfen das aufgebaute Vertrauen in die Personen vor Ort, die Räumlichkeiten und die insgesamt entspannte und ruhige Atmosphäre ohne zeitlichen Druck. In der Arbeit vor Ort fallen beispielsweise folgende Aufgaben an: Das Ohrpassstück eines Hörgeräts passt nicht mehr und muss neu erstellt werden, die Hörgeräteeinstellungen müssen an das veränderte Hörvermögen angepasst werden, der Träger eines Cochlea-Implantats benötigt einen neuen Magneten für seine Sendespule. Dabei findet zum Beispiel die Anpassung und Feineinstellung der neuen Hörhilfen in kleinen Schritten über mehrere Termine statt: So kann der Schulakustiker aufgrund der immer wieder neu gemessenen Ergebnisse und der Beobachtungen des Trageverhaltens durch das Klassenteam und die Eltern die Einstellungen immer besser anpassen, v. a. bei Kindern und Jugendlichen, die selber keine Rückmeldung geben können.
Des Weiteren findet mehrfach pro Jahr die Kooperation mit Dr. med. Rainer Beck statt. Hierbei kommt der Pädaudiologe aus dem Universitätsklinikum Freiburg nach Heiligenbronn, um zusammen mit dem Team der Pädagogischen Audiologie TB eine Klientin oder einen Klienten im Anschluss an eine aktuelle Testung und auf der Grundlage bisheriger medizinischer Berichte und der Daten aus dem Anamnesebogen der Pädagogischen Audiologie mit einem größeren Zeitfenster als im klinischen Kontext zu untersuchen und zu beraten: Woran könnte das schlechter werdende Hörvermögen liegen? Sind weitere Untersuchungen notwendig? Braucht es eine Neuverordnung für eine Hörhilfe? Wie ist das weitere Vorgehen?
Durch diese beiden Kooperationen entsteht ein großer Mehrgewinn für die betreuten Kinder und Jugendlichen mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung. Eine optimale hörtechnische Versorgung ist möglich, sodass den betreuten Klientinnen und Klienten mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung durch die bestmögliche Nutzung dieses Sinns ein weiterer Zugang zur Welt eröffnet werden kann. Durch die verbesserte Situation kann eine Klientin beispielsweise über die Distanz angesprochen und das Gefühl vermittelt werden, nicht allein im Raum zu sein. Umweltinformationen werden erfahrbar und können erarbeitet werden (z. B. das Geräusch einer sich schließenden Tür oder ein Feueralarm). Durch eine verbesserte Wahrnehmung der Sprachmelodie ist es möglich, Emotionen und Stimmungen besser zu erleben. Auto- oder Fremdaggressionen können abnehmen, ein besserer Tag-Nacht-Rhythmus kann sich einstellen. Insgesamt ist mehr Teilhabe und letztendlich Lebenszufriedenheit möglich.
Es gibt aber auch immer wieder Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die diesen Zugang zur Welt nicht wählen. Dies zu erkennen, abzuwägen und zu entscheiden, ist ebenso eine Aufgabe des interdisziplinären Austauschs der Mitarbeiterinnen des Fachdienstes mit anderen Professionen. Zentral sind hierbei immer das Wohl und die Lebenszufriedenheit der Klientin oder des Klienten.
Die Arbeit in der Pädagogischen Audiologie für Kinder und Jugendliche mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung unterliegt dabei einem steten Prozess der Weiterentwicklung, sowohl was die Hörtechnik betrifft als auch in der täglichen interdisziplinären Arbeit. Die permanente Fortbildung und der Ausbau des Netzwerks an Kooperationspartnern ist Teil der täglichen Arbeit.
Für den Aufbau dieses besonderen Fachdienstes wurde der Leitung der Pädagogischen Audiologie TB, Astrid Borck, im Herbst 2023 der „Distinguished Service Award“, ein Award für einen herausragenden Service für Kinder und Jugendliche mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung, durch den Weltverband Deafblind International (DBI) verliehen. Des Weiteren veröffentlichte das Team der Pädagogischen Audiologie TB im Mai 2023 das Fachbuch „Eine Tür zur Welt öffnen – Pädagogische Audiologie für Kinder und Jugendliche mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung“, in dem die Herangehensweise an die Hördiagnostik dieses besonderen Personenkreises sowie der Wissens- und Erfahrungsschatz der Mitarbeiterinnen detailliert beschrieben werden.
Auf der Grundlage des Fachdienstes „Pädagogische Audiologie für Kinder und Jugendliche mit Hörsehbehinderung und Taubblindheit“ befindet sich ein solcher Fachdienst für Erwachsene an der Stiftung St. Franziskus in Schramberg-Heiligenbronn im Aufbau.
Literatur
BDH – Berufsverband Deutscher Hörgeschädigtenpädagogen (2020). Pädagogische Audiologie. Online verfügbar unter Paedagogische_Audiologie_Neuauflage_Broschuere_2020_05_11.pdf (b-d-h.de) (abgerufen am 19.06.2024).
Borck, Astrid/Alffermann, Beate/Klaus, Monika/Siebert, Sandra (2023). Eine Tür zur Welt öffnen. Pädagogische Audiologie für Kinder und Jugendliche mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung. Heidelberg: Median Verlag
Borck, Astrid/Alffermann, Beate/Klaus, Monika/Siebert, Sandra (2017). Was heißt hier „Hören“? Pädagogische Audiologie bei Kindern und Jugendlichen mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung – ein Praxisbericht. In: HörgeschädigtenPädagogik 2017 (4), 211–214.
Monika Klaus, Sonderpädagogin
Sonderpädagogisches Bildungs-
und Beratungszentrum Sehen
Heiligenbronn
Beate Alffermann, Sonderpädagogin
Sonderpädagogisches Bildungs-
und Beratungszentrum Sehen
Heiligenbronn
Astrid Borck, Sonderpädagogin
Sonderpädagogisches Bildungs-
und Beratungszentrum Sehen
Heiligenbronn
Sandra Siebert, Sonderpädagogin
Sonderpädagogisches Bildungs-
und Beratungszentrum Sehen
Heiligenbronn