Maren Marx, Lea Maurer, Ines Weber

Hand in Hand: Kompetenzaufbau an der Nikolauspflege zum Thema Taubblindheit/Hörsehbehinderung

Maren Marx, Lea Maurer, Ines Weber

Einleitung

Seit vielen Jahren begleitet die Nikolauspflege neben Personen mit einer Beeinträchtigung des Sehens oder einer zusätzlichen komplexen Beeinträchtigung Personen, die eine zusätzliche Beeinträchtigung des Hörens aufweisen. Bei einer kombinierten Hör- und Sehbeeinträchtigung, bei der die beiden Fernsinne sich gegenseitig nicht kompensieren können, spricht man von einer Taubblindheit/Hörsehbehinderung.

Um die Kinder und Jugendlichen mit einer Taubblindheit/Hörsehbehinderung des inklusiven Kindergartens NIKOlino, der Frühförder- und Beratungsstelle sowie des Betty-Hirsch-Schulzentrums, eines Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrums (SBBZ) mit Internat im Förderschwerpunkt Sehen, im Alltag bestmöglich unterstützen, fördern und begleiten zu können, wurden im September 2021 zwei Projekte an der Nikolauspflege in Stuttgart und Heidenheim ins Leben gerufen. Unter dem Titel „Hand in Hand“ verfolgen sie drei große Ziele:

  • Identifizierung von Kindern und Jugendlichen mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung
  • Schulungsangebote für Mitarbeitende
  • Öffentlichkeitsarbeit sowie Entwicklung eines Netzwerkes

In diesem Beitrag möchten wir insbesondere die entwickelten Schulungsangebote für Mitarbeitende vorstellen. In Summe wurden vier verschiedene Schulungsangebote im Laufe der Projektzeit etabliert:

  • Basisschulung Taubblindheit/Hörsehbehinderung
  • Grund- und Aufbaukurse in Deutscher Gebärdensprache
  • IKI-TAU-Schulungen (Einblick in das entstehende Einschätzungsinstrument zur Identifizierung von Personen mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung)
  • Multiplikatorenschulung Taubblindheit/Hörsehbehinderung

Basisschulung Taubblindheit/Hörseh­behinderung

Die Nikolauspflege bietet in verschiedenen fachspezifischen Bereichen, z. B. Orientierung und Mobilität, Lebenspraktische Fähigkeiten oder medizinische Grundlagen des Auges, Basisschulungen an. Insbesondere neue Mitarbeitende haben auf diese Weise die Möglichkeit, sich niederschwellig grundlegendes Wissen der Blinden- und Sehbehindertenpädagogik anzueignen. Im Zuge des Aufbaus der Fachkompetenz Taubblindheit/Hörsehbehinderung wurden ebenfalls Basisschulungen für diesen Bereich etabliert. Es stehen den Mitarbeitenden nun je eine Basisschulung für die Arbeit mit Menschen mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung mit konventioneller (Laut- bzw. Gebärdensprache, taktile Gebärden(sprache), Lormen …) oder unkonven­tioneller (Berührungen, Bewegungen, Gesten, Laute …) Kommunikation zur Verfügung. Die Basisschulungen werden zweimal jährlich angeboten und vom Projektteam durchgeführt. Der Schwerpunkt liegt dabei auf einer möglichst alltagsnahen Vermittlung der Themen. Die Selbsterfahrung in den Bereichen Kommunikation, Orientierung und Mobilität sowie Zugang zu Informationen in Zusammenhang mit der theoretischen Fundierung und der gemeinsamen Reflexion der praktischen Erfahrungen spielen hierfür eine wichtige Rolle.

Grund- und Aufbaukurse in Deutscher Gebärdensprache

Im Laufe des Projekts wurde immer deutlicher, dass der Bedarf an gebärdenkompetenten Mitarbeitenden an der Nikolauspflege stetig steigt. Gebärden ermöglichen nicht nur Kindern und Jugendlichen mit einer Gehörlosigkeit oder Schwerhörigkeit einen Zugang zur Kommunikation, auch Kinder und Jugendliche mit einer Taubblindheit/Hörsehbehinderung profitieren von Gebärden, teils auch in der taktilen Modalität, ungemein. Daneben wurde deutlich, dass unsere Kinder und Jugendlichen mit mehrfacher Beeinträchtigung (ob mit oder ohne Taubblindheit/Hörsehbehinderung) große Entwicklungen in der Kommunikation und Interaktion durch das Angebot von (taktilen) Gebärden zeigten. Damit Kinder und Jugendliche in verschiedenen Gruppen, Klassen oder Geschäftsbereichen nicht auf unterschiedliche Gebärden treffen, wurde sich geschäftsbereichsübergreifend auf ein Sprachsystem geeinigt. Allen Mitarbeitenden steht nun ein digital zugängliches Gebärden­lexikon zur Verfügung. Seit April 2023 werden regelmäßig Grund- und Aufbaukurse in Deutscher Gebärdensprache (DGS) angeboten. Der Dozent, selbst DGS-Muttersprachler, passte seine Kurse den Bedarfen der Teilnehmenden (z. B. für Kindergarten und Schule relevantes Vokabular) an.

IKI-TAU Schulungen

Das zweistufige Screeningverfahren IKI-TAU zur Identifizierung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung wird derzeit an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg entwickelt. Nach Fertigstellung möchte die Nikolauspflege IKI-TAU nutzen, um bislang unentdeckte Kinder und Jugendliche mit einer Taubblindheit/Hörsehbehinderung zu finden. Damit Mitarbeitende sich in der Anwendung von IKI-TAU zukünftig sicher fühlen, führte das Projektteam insgesamt vier Schulungen in Stuttgart und Heidenheim durch. Die Teilnehmenden erhielten einen Einblick in den Aufbau des Instruments. Sie füllten probeweise den Screening-Fragebogen in der App oder händisch aus und gaben Feedback. Darüber hinaus konnten sie die Module Sehen und Hören, welche den zweiten Teil des Screeningverfahrens darstellen und eine Einschätzung zum funktionalen Seh- und Hörvermögen geben, in Workshops austesten. Dieser praxisnahe Schulungsinhalt wurde als besonders relevant erachtet, da insbesondere die Einschätzung des funktionalen Hörvermögens für die meisten Teilnehmenden bislang fachfremd war.

Die Nachfrage war aus allen Bereichen der Nikolauspflege sehr hoch. Während der Schulungen gab es zahlreiche Diskussionen zum Einsatz und zur Wichtigkeit des Screening-Verfahrens; das Interesse an zusätzlichen, tiefergreifenden Schulungen und gemeinsamen Austauschmöglichkeiten war ebenfalls hoch.

Das Schulungskonzept „Multipli­katorenschulung Taubblindheit/Hörsehbehinderung“

Einen Großteil der Projektarbeit nahm die Entwicklung der „Multiplikatorenschulung Taubblindheit/Hörsehbehinderung“ ein. Die Schulung ist in das sogenannte Multiplikatorenkonzept der Nikolauspflege eingebunden. Dieses Konzept soll sicherstellen, dass das Wissen, das einzelne Mitarbeitende in Schulungen erwerben, in die Breite getragen und somit nachhaltig verankert wird. Ausgebildete Multiplikatorinnen und Multiplikatoren verfügen über spezifisches Hintergrundwissen und können somit Mitarbeitende, die die Schulung nicht durchlaufen haben, bei Fragen und Anliegen unterstützen oder ihnen Ansprechpartnerinnen und -partner nennen. Für den Arbeitsalltag bedeutet dies, dass Wege oftmals kürzer sind und Anliegen schneller geklärt werden können.

In der Multiplikatorenschulung Taubblindheit/Hörsehbehinderung erlangen die teilnehmenden Mitarbeitenden spezifisches Fachwissen für ihre Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung. Besonders wichtig ist dabei die Sensibilisierung für den Personenkreis, das Einfühlen in die Wahrnehmung eines Menschen mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung sowie Möglichkeiten der Kommunikation.

Entwicklung

Um eine solche Schulung zur Thematik Taubblindheit/Hörsehbehinderung zu konzipieren, wurde zunächst eine Bedarfsanalyse mithilfe von Interviews durchgeführt. Insgesamt wurden zwölf Mitarbeitende interviewt, die aktuell oder in der Vergangenheit mit einem Kind oder Jugendlichen mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung an der Nikolauspflege arbeiten bzw. gearbeitet hatten. Das Ziel der Einzelinterviews war die Erhebung der Bedarfe der Mitarbeitenden in Bezug auf ihre tägliche Arbeit mit diesem Personenkreis. Es wurde durch Leitfragen ein Gespräch aufgebaut, welches verschiedene Schwerpunkte in der Arbeit mit Menschen mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung beleuchtete.

Anschließend erfolgte die Erstellung eines Analyserasters, in dem sich aus den Interviews und den Leitfragen ergebende Themen (Kategorien) entwickelt wurden. Einzelne Aussagen von Mitarbeitenden wurden diesen Kategorien zugeordnet und anhand der Kriterien

  • „Mehr Wissen/Unterstützung gewünscht“,
  • „Schwierige/Herausfordernde Situation“,
  • „Sorgen“ und
  • „Das läuft gut“

bewertet.

Um eine Einschätzung dafür zu bekommen, welche Themen für die Mitarbeitenden besonders wichtig sind, wurden die Aussagen der Mitarbeitenden in Bezug auf die einzelnen Kategorien hinsichtlich ihrer Dringlichkeit als hoher, mittlerer oder geringer Bedarf eingestuft.

Als besonders dringlich und für die Entwicklung eines Curriculums relevant wurden folgende Themen identifiziert:

  • Sensibilisierung und Diagnostik
  • Besonderheiten der Entwicklung im Kontext Taubblindheit/Hörsehbehinderung
  • Kommunikation und soziale Interaktion
  • Medizinische und audiologische Grundlagen des Ohres sowie pädagogische Aspekte der Fachrichtung Hören
  • Didaktik

Durchführung

Auf Basis der Bedarfserhebung wurde ein Curriculum erarbeitet. Das Thema „Diagnostik“ wurde vom Projektteam separat aufgegriffen. Die Themen „Syndrome“ und „Leben und Arbeiten als erwachsener Mensch mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung“ fanden aufgrund ihrer Relevanz für die Nikolauspflege ebenfalls Einzug in das Curriculum.

Im Mai 2023 startete das Schulungsprogramm unter dem Namen Multiplikatorenschulung Taubblindheit/Hörsehbehinderung. In Summe nahmen 26 Mitarbeitende mit unterschiedlichsten Professionen und Arbeitsbereichen aus der Nikolauspflege teil (siehe Abb. 1). Neben Sonderschullehrkräften waren zum Großteil Erzieherinnen vertreten. Heilpädagoginnen stellten die nächstgrößere Gruppe dar. Heilerziehungspflegerinnen, Fachlehrkräfte sowie Krankenpflegerinnen fanden sich ebenfalls unter den Teilnehmenden. Darüber hinaus nahmen je eine Ergotherapeutin, eine Physiotherapeutin, eine Grundschullehrkraft sowie eine Orthoptistin und Augenoptikerin an der Schulung teil.

Kreisdiagramm, dargestellt sind Professionen der Teilnehmenden nach Häufigkeit.

Abbildung 1: Professionen der Teilnehmenden (Quelle: Sophia Bertz)

Insgesamt wurden sieben Module an sechs Schulungstagen zwischen Mai und November 2023 erarbeitet (siehe Abb. 2). In jedem Modul hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, Selbsterfahrung durch verschiedene an das Modul angepasste Übungen zu sammeln (siehe Abb. 3). So konnten die Teilnehmenden z. B. Erfahrungen im Bereich der Orientierung und Mobilität oder in der Kommunikation in einer größeren Gruppe sammeln. Auch die Möglichkeit, die Funktionsfähigkeit eines Hörgeräts mithilfe eines Hörgeräte-Prüfsets praktisch auszuprobieren, war gegeben. Expertinnen aus ganz Deutschland und Österreich referierten zu den verschiedenen Themen. Die Abwechslung, die dadurch auch in methodischen und personenbezogenen Arbeitsweisen entstand, erhöhte die Qualität der Schulung nochmals.

Zeitstrahl, der die sieben Module des Schulungskonzepts von Mai 2023 (links beginnend) bis November 2023 (rechts endend) darstellt.

Abbildung 2: Modulübersicht der Multiplikatorenschulung Taubblindheit/Hörsehbehinderung (Quelle: Projektteam Hand in Hand)

In Modul 1 „Einführung“ lernten die Teilnehmenden den heterogenen Personenkreis näher kennen und erhielten durch die Referentinnen des Projektteams, Maren Marx, Lea Maurer und Ines Weber, einen Einblick zu Prävalenzen und Ursachen.

In Modul 2 referierte Prof. Dr. Andrea Wanka zu den Besonderheiten der Entwicklung von Personen mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung. Hier standen die Wahrnehmung der Welt durch den taktilen Sinn und die dadurch entstehenden mentalen Vorstellungen, die sich stark von denen einer hörend-sehenden Person unterscheiden, im Vordergrund. Darüber hinaus wurde besprochen, welche Kompetenzen Partnerinnen und Partner entwickeln müssen, um mit der Person mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung zu einer geteilten Bedeutung in der Kommunikation zu gelangen.

In Modul 3 gab das Projektteam einen Einblick in verschiedene Syndrome, die mit einer Taubblindheit/Hörsehbehinderung in Verbindung stehen. Hier wurden überwiegend Syndrome thematisiert, die aktuell bei Kindern und Jugendlichen mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung an der Nikolauspflege vorliegen.

Modul 4 „Kommunikation“ bildete den Schwerpunkt der Schulung. Barbara Latzelsberger und Jana Horkava vom Österreichischen Hilfswerk für Taubblinde und hochgradig Hör- und Sehbehinderte (ÖHTB) vermittelten sehr praxisnah ihr Wissen zu den Themen „Kontakt und soziale Interaktion“ sowie zu konventionellen Kommunikationsformen. Tabea Sadowski zeigte durch den Bezug zu Modellen der Kommunikationsentwicklung sowie durch viele Video­beispiele aus ihrer Arbeit an der Blindeninstitutsstiftung Würzburg, wie unkonventionelle taktil-körperliche Kommunikation einen überaus wichtigen Aspekt in der Kommunikation mit Menschen mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung einnimmt. Die Videoanalyse unterstützte die Vertiefung der Inhalte zur Kommunikation und sozialen Interaktion und trug dadurch auch zum Übertrag auf das eigene praktische Handeln der Teilnehmenden bei. Paula Lanz (bis August 2024: Nikolauspflege) und Julia Usselmann (Stiftung St. Franziskus) führten in die Tactile Working Memory Scale (TWMS), ein Assessment kognitiver Fähigkeiten in der körperlich-taktilen Modalität, ein und bereicherten diesen Tag durch ihre Expertise.

Als besonders wertvoll wurde das Modul 5 zu den medizinischen und audiologischen Grundlagen des Ohres erachtet, das vom Projektteam sowie von Astrid Borck und Sandra Siebert aus der Stiftung St. Franziskus in Heiligenbronn gegeben wurde. Die Kolleginnen aus Heiligenbronn stellten anschaulich dar, wie pädagogische Audiologie bei Kindern mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung (mit zusätzlicher körperlicher und/oder motorischer Beeinträchtigung) in der Praxis gelingen kann.

Im Follow-up-Modul hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, bis dahin gesammelte Fragen zu stellen und eigene Themen zu diskutieren.

Lisa Nohe, Kollegin aus der Johann-August-Zeune-Schule für Blinde in Berlin, gab am letzten Schulungstag wertvolle Einblicke in die Didaktik und Schulpraxis im Kontext einer Taubblindheit/Hörsehbehinderung (Modul 6). Durch die Vorstellung verschiedener Unterrichtsbeispiele erhielten die Teilnehmenden Ideen für die eigenen didaktischen Umsetzungen.

Um einen Ausblick auf das Leben eines Kindes oder Jugendlichen nach der Schulzeit zu geben, rundete Jana Martin (Nikolauspflege) die Schulung in Modul 7 mit einem Input zum Leben und Arbeiten als erwachsener Mensch mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung gelungen ab.

Ein großes Anliegen war eine möglichst praxisnahe Vermittlung der Inhalte. So wurde beispielsweise im Rahmen der Videoanalyse ein Video eines Schülers einer teilnehmenden Sonderschullehrerin analysiert. Aufgenommene Videobeispiele von Kindern und Jugendlichen der Einrichtung konnten spezifische Inhalte exemplarisch darstellen und stellen so ebenfalls einen Praxisbezug für die Teilnehmenden her.

Teilnehmende unter Simulation (Schallschutzkopfhörer und Augenbinde oder Simulationsbrille) bei Selbsterfahrungsübungen sowie bei der Handhabung eines Hörgeräte-Prüfsets.

Abbildung 3: Teilnehmende bei Selbsterfahrungsübungen, teilweise unter Simulation (Quelle: Projektteam Hand in Hand)

Evaluation

Die Schulung wurde mehrfach evaluiert, um das Schulungskonzept zukünftig zu verbessern und als Grundlage für die Konzeption möglicher Vertiefungsmodule zu nutzen. Durch die Kooperation mit der Pädagogischen Hochschule Heidelberg konnten Studentinnen der Sonderpädagogik gewonnen werden, die verschiedene Aspekte der Schulung in ihrer abschließenden Masterarbeit analysierten.

Im Mai und Juni 2023 beschäftigte sich eine Studentin vertiefend mit den Modulen 1 und 2, wodurch die soziodemografischen Daten der Teilnehmenden erhoben wurden. Die Fragebogenerhebung, die direkt im Anschluss an die Schulungstage durchgeführt wurde, lieferte wichtige Einblicke. Die Ergebnisse zeigen, dass der Gesamteindruck der ersten beiden Module von den Teilnehmenden zu größten Teilen positiv bewertet wurde. In vielen behandelten Themen gaben die Teilnehmenden an, neues Wissen hinzugewonnen zu haben. Vorwissen brachten die Teilnehmenden zur Thematik des körperlich-taktilen Erfahrens der Welt mit.

Die Evaluation zeigt auch, dass die im Curriculum festgelegten Kompetenzziele für die Module 1 und 2 erreicht wurden.

Das Projektteam evaluierte nach Abschluss der Schulung im Zeitraum von November 2023 bis Januar 2024 durch einen Online-Fragebogen die Umsetzung und Bewertung aller Module. Insgesamt beantworteten die Teilnehmenden 18 Fragen zu den Themen:

  • Gesamteindruck von der Schulung
  • Bewertung der einzelnen Module
  • Schulungsorganisation und -durchführung
  • Praxisbezug/Transfer in den Alltag
  • Ausblick auf die Rolle als Multiplikatorin bzw. Multiplikator sowie Vertiefungsmodule
  • Stärken, Verbesserungsbedarfe und allgemeine Rückmeldungen.

Die Ergebnisse belegen die hohe Qualität der Schulung und bieten die Möglichkeit, der Schulung in einem nächsten Durchlauf den Feinschliff zu geben.

Aus Sicht der Teilnehmenden sind viele Punkte in der Durchführung und Realisierung der Schulung sehr gut gelungen (siehe Abb. 4). Die Wahl der Referentinnen, die ihre Themen sehr praxisnah und mit viel Engagement sowie Expertise vermittelten, wurde mehrfach genannt. Daneben wurden die Themenauswahl sowie die didaktische und methodische Durchführung als positiv herausgestellt. Einige Teilnehmende empfanden die Selbsterfahrungs­übungen als besonders wertvoll. Auch der Aufbau der Schulung (Organisation, Struktur und Gruppengröße) wurde als positiv bewertet.

Schematische Darstellung, positiv bewertete Aspekte der Schulung, dargestellt in ovalen von links nach rechts kleiner werdenden Kreisen.

Abbildung 4: Gelungene Punkte der Multiplikatorenschulung (Quelle: Projektteam Hand in Hand)

Beachtenswert ist, dass die Erwartungen der Teilnehmenden zu hohen Teilen erfüllt wurden. So zeigt Abbildung 5, dass für über 90 % der Teilnehmenden die Selbsterfahrung, der Erwerb oder die Vertiefung von Fachwissen sowie das Einfühlen in die Wahrnehmung einer Person mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung in der Schulung gut umgesetzt wurde. Für 80 % wurde die Erwartung erfüllt, Kontakt- und Kommunikationsmöglichkeiten kennenzulernen sowie praktische Ideen und Impulse für den Alltag zu erhalten. Der persönliche Austausch untereinander sowie die Verknüpfung zwischen Theorie und Praxis kam für knapp 30 % der Teilnehmenden zu kurz.

Säulendiagramm, dargestellt sind sieben erfüllte Erwartungen der Teilnehmenden nach Häufigkeit.

Abbildung 5: Erfüllte Erwartungen der Teilnehmenden (Quelle: Sophia Bertz)

Durch die Heterogenität des Personenkreises der Menschen mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung und der verschiedenen Arbeitsbereiche der Teilnehmenden (Frühförderung, Kindergarten, Schule mit unterschiedlichen Bildungsplänen, Wohnen, Orthoptik …) stellte sich die Verknüpfung zur jeweiligen individuellen Praxis als Herausforderung dar. In der Evaluation zeigt sich, dass diese vom Projektteam wahrgenommene Herausforderung nicht für alle Teilnehmenden, jedoch für einen Teil galt. Zur besseren Beurteilung dieser Herausforderung evaluieren zwei weitere Studentinnen der Pädagogischen Hochschule Heidelberg aktuell die Umsetzung des theoretisch erworbenen Wissens in den praktischen Alltag mithilfe von Interviews, die sie mit insgesamt sechs Teilnehmenden durchführen. Die vollständige Auswertung liegt zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vor, kann ab Herbst 2024 aber gerne erfragt werden.

Die Frage, ob Bezüge zur eigenen konkreten Praxis hergestellt wurden, beantworteten 63 % mit „trifft voll zu“, 21 % mit „trifft eher zu“ und 16 % mit „trifft weniger zu“. Sehr erfreulich ist, dass die Teilnehmenden Beispiele nennen können, in welchen sie Inhalte in ihrer täglichen Arbeit anwenden konnten. Die meisten ge­nannten Beispiele zeigen, dass Veränderungen in der Kommunikation stattfinden. Gewinnbringend ist für die Teilnehmenden zudem das Thema medizinische und audiologische Aspekte des Ohrs, wie das Verstehen und Lesen eines Audiogramms.

Positiv herauszustellen ist darüber hinaus das Erreichen der Sensibilisierung der Teilnehmenden für die Thematik. Für 89 % trifft es voll und für 11 % eher zu, dass sie im Alltag für taubblinden-spezifische Themen aufmerksamer sind, z. B. mit welchem Sinn die Kinder und Jugendlichen die Umgebung wahrnehmen oder wie Zugang zu Kommunikation oder Information ermöglicht werden kann.

Durch die Evaluation wird außerdem deutlich, dass sich einige Teilnehmende noch nicht vollkommen kompetent fühlen, um zukünftig als Multiplikatorin bzw. Multiplikator in diesem Bereich Aufgaben zu übernehmen.

Bei der Frage, welche Gedanken die einzelnen Teilnehmenden beschäftigen, wenn sie an ihre zukünftige Aufgabe als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren denken, wird auch hier deutlich, dass einige Teilnehmende die eigene Kompetenz hinterfragen, dass allerdings auch andere Aspekte, wie die Erwartungen der Kolleginnen und Kollegen, fehlende Ressourcen und wenig eigene praktische Erfahrungen in ihre Sorgen mitwirken (siehe Abb. 6). Die Frage zeigt aber auch, dass mehrere Teilnehmende dieser Aufgabe mit Freude und Zuversicht entgegentreten. So freuen sie sich auf die Verbreitung ihres erworbenen Wissens, auf die Übertragung der Inhalte auf den erweiterten Personenkreis (d. h. Personen, die nach offiziellen Standards keine Taubblindheit/Hörsehbehinderung haben, ihr Hör- und Sehvermögen aber nicht funktional nutzen oder Personen mit einer Mehrfachbehinderung) sowie das interdisziplinäre Arbeiten.

Schematische Darstellung der Gedanken der Teilnehmenden hinsichtlich zukünftiger Aufgaben. Unterteilt in die Bereiche „Sorgen“ (orange), „Zuversicht“ (grün) und „Wünsche“ (blau).

Abbildung 6: Gedanken der Teilnehmenden hinsichtlich zukünftiger Aufgaben als Multiplikatorin bzw. Multiplikator (Quelle: Projektteam Hand in Hand)

Darüber hinaus hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, Wünsche oder Verbesserungsvorschläge für die Zukunft zu äußern. In Abbildung 6 ist erkennbar, dass der Wunsch eines Fachteams Taubblindheit/Hörsehbehinderung groß ist. Hier sehen die Teilnehmenden die Möglichkeit eines fortwährenden Austausches während der alltäglichen Arbeit. Des Weiteren möchten die Teilnehmenden in Zukunft gerne einzelne Fälle im Rahmen von Fallbesprechungen diskutieren. Auch der Wunsch nach höheren zeitlichen sowie personellen Ressourcen wurde mehrfach geäußert.

Ausblick

Das Projektteam sowie die Nikolauspflege sind über den Erfolg der unterschiedlichen Schulungsangebote sehr erfreut! Unser besonderer Dank gilt der Lipoid Stiftung, die mit ihrer großartigen Unterstützung den Kompetenzaufbau im schulischen Bereich der Nikolauspflege für „Hand in Hand“ möglich gemacht hat. Ganz herzlichen Dank! Die Lipoid Stiftung ermöglicht auch, dass in den kommenden drei Jahren ein zweiter Durchlauf der Multiplikatorenschulung sowie Vertiefungsmodule und die Grund- und Aufbaukurse in Deutscher Gebärdensprache stattfinden können. Die Rückmeldungen der Teilnehmenden aus dem ersten Durchlauf der Multiplikatorenschulung werden dabei in die Konzeption aufgenommen, um die Qualität der Schulung weiter zu erhöhen.

Welche Inhalte in den geplanten Vertiefungsmodulen der Multiplikatorenschulung konkret umgesetzt werden, steht noch nicht fest. Hier sollen die Ergebnisse der in den Masterarbeiten erhobenen Interviews in die Konzeption miteinfließen. Zum jetzigen Zeitpunkt erscheinen Vertiefungen in den Bereichen der Didaktik, Assessment, Videoanalyse und taktile Gebärden als sinnvoll.

Des Weiteren ist ein Fachteam Taubblindheit/Hörsehbehinderung ab dem Schuljahr 24/25 in Planung. Auch Fallbesprechungen zu Kindern und Jugendlichen mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung sollen Bestandteil der Nikolauspflege werden. Die Incident-Methode, die im Rahmen einer Hospitation an der Einrichtung Royal Dutch Kentalis kennengelernt wurde, soll hier als eine mögliche Methode zum Einsatz kommen. Bei der Incident-Methode geht es nicht darum, vorgefertigte Lösungen oder allerlei gut gemeinte Tipps von Kolleginnen und Kollegen zu finden. Die Methode bietet einen Rahmen, um den Fall aus verschiedenen Blickwinkeln zu untersuchen, basierend auf der Idee: Je mehr ich über diesen Fall erfahre, desto besser werden meine Lösungen sein. Sie folgt dabei einer klaren Struktur mit verschiedenen Phasen.

Die angeklungene Unsicherheit der eigenen Kompetenz der Teilnehmenden (gerade auch in der Arbeit als Multiplikatorin oder Multiplikator) wird ernst genommen.

Die geplanten Vorhaben sollen die Kompetenzen und das Selbstbewusstsein der Mitarbeitenden ausbauen. Multiplikatorinnen bzw. Multiplikatoren, aber auch alle anderen interessierten Mitarbeitenden, haben durch den gemeinsamen Austausch im Fachteam, in den Fallbesprechungen und in weiteren Schulungsangeboten die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten und ihr Wissen zu erweitern oder Sicherheit zu gewinnen.

Neben diesen Vorhaben ist es der Nikolauspflege ein großes Anliegen, die Thematik der Taubblindheit/Hörsehbehinderung stärker mit bestehenden internen Strukturen zu vernetzen. So sollen die Spezifika des Personenkreises in andere Schulungsangebote wie der Kinästhetik-Schulung im Sinne von Taubblind meets kinesthetics einfließen.

Wir freuen uns auf die kommende Zeit, in welcher wir das Thema der Taubblindheit/Hörsehbehinderung an der Nikolauspflege weiter verankern und den Kindern und Jugendlichen mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung somit eine hohe Fachlichkeit bieten können.

Abbildungen

Dr. phil. Maren Marx
Sonderpädagogin

Nikolauspflege Stuttgart

Maren.Marx@nikolauspflege.de

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Lea Maurer, Sonderpädagogin

bis Juli 2024 an der Nikolauspflege, jetzt Stiftung St. Franziskus
Schramberg-Heiligenbronn

Lea.Maurer@stiftung-st-franziskus.de

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Ines Weber Sonderpädagogin

Nikolauspflege Stuttgart

Ines.Weber@nikolauspflege.de