Judith Schulz

„Digital ohne Verstand?!“

Gemeinsame Tagung der Arbeitsgemeinschaften Inklusion und Informationstechnologie in Friedberg

Judith Schulz

Vom 7. bis 9. Juni 2024 fand die gemeinsame Tagung der beiden Arbeitsgemeinschaften Inklusion und Informationstechnologie traditionell in der Johann-Peter-Schäfer-Schule in Friedberg statt. Bei schönstem Wetter konnten etwa 90 Teilnehmende ein interessantes und informatives Tagungsprogramm verfolgen. Die Beiträge der Tagung können für Interessierte unter dem folgenden Link eingesehen werden: https://t1p.de/friedberg_2024.

Wir danken allen Referentinnen und Referenten für die Freigabe ihrer Präsentationen!

Am Freitagabend eröffneten Erich Rüger und Mirijam Sing (Schlossschule Ilvesheim) die Tagung mit ihrem spannenden Vortrag „KI – von Quatsch bis Wow!“, in dem zunächst dargestellt wurde, was KI ist, welche Systeme und Programme sich dahinter verstecken und wie eine KI funktioniert. Am Beispiel von Bildern zeigten die beiden Referierenden anschließend, welche Möglichkeiten eine KI zum Generieren, Segmentieren, Erkennen und Beschreiben von Bildern bietet. Die verblüffenden Effekte begeisterten die Teilnehmenden, zeigten aber auch, wie hilfreich eine KI beispielsweise bei der Übertragung von Bildern für Klassenarbeiten oder Prüfungen sein kann. Durch möglichst konkrete Eingaben (sog. Prompts) lassen sich auf der Basis des gegebenen Fotos neue, ähnliche Bilder finden, die anschließend weiter angepasst werden können. Abbildungen können so beispielsweise deutlich im Kontrast verbessert, nachträglich koloriert oder in den Farben verändert werden. Die beiden Referierenden stellten in ihrem Vortrag eine Vielzahl an verschiedenen kostenfreien Programmen vor, die unterschiedliche Aspekte abdecken. Bei Fragen zu diesem Thema können sich Interessierte gern an Erich Rüger wenden.

Im Anschluss an die wie immer unterhaltsame Tagesschau schloss sich ein „VBS-Brennpunkt“ an. Imke Wißmann stellte als Sprecherin der AG-Leitenden die derzeitige Situation bei den unterschiedlichen AGs vor. Alle AG-Leitenden arbeiten ehrenamtlich und unterstützen so die fachliche und praxisorientierte Fortbildung in den verschiedenen AG-Schwerpunkten. Ohne eine entsprechende Leitung ist dies allerdings nicht möglich. Vor allem die Arbeitsgemeinschaften Braille, Psychologie, Migration, Orientierung & Mobilität sowie die AG Umwelt und Verkehr benötigen dringend personelle Unterstützung.

Der VBS sucht außerdem eine Person, die sich für den Bereich „Soziale Medien“ engagiert. Über verschiedene soziale Medien soll zukünftig beispielsweise auf Tagungen oder Artikel der blind-sehbehindert aufmerksam gemacht werden. Für Fragen oder Interessensbekundungen stehen Imke Wißmann (Schleswig) und Michael Schäffler (Ilvesheim) gerne zur Verfügung. Bevor der gemütliche Austausch aus den Bundesländern begann, wurden aber noch die Vorstände der beiden anwesenden AGs neu gewählt. Jeweils einstimmig gewählt wurden für die AG Informationstechnologie Michael Schäffler (Vorsitzender) und Dietmar Stephan (Stellvertretung) und für die AG Inklusion Frank Laemers (Vorsitzender) und Judith Schulz (Stellvertretung). Herzlichen Glückwunsch!

Am Samstagmorgen starteten Ann-Katrin Böhm und Anja Gutjahr aus Heidelberg mit ihrem sehr interessanten Vortrag „Digitale Barrierefreiheit – Hilfreiche Tools, die im Rahmen eines Projekts im Kontext Hochschule auch für uns nutzbar sind“. Beide Referentinnen arbeiten als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen für das Projekt SHUFFLE, einem Projektzusammenschluss der vier Hochschulen HdM Stuttgart, Universität Bielefeld, PH Freiburg und PH Heidelberg. Ziel der vier Projektpartner ist es u. a., einen kompetenten, barrierefreien Umgang mit digitalen Medien für Lehrende an Hochschulen zu vermitteln. Dabei sollen sowohl ein Bewusstsein für Studierende mit besonderen Bedarfen als auch Grundkenntnisse und praktische Tools geschaffen werden. Nähere Informationen zum Projekt finden sich auf der Internetseite www.shuffle-projekt.de. Zu Beginn ihres Vortrages stellten Ann-Katrin Böhm und Anja Gutjahr Ergebnisse einer Studie aus dem Jahr 2023 vor: Von etwa 2,9 Millionen Studierenden in Deutschland haben 16 % studienerschwerende gesundheitliche Beeinträchtigungen. Mit einem ähnlichen Fokus wurde im Rahmen des Shuffle-Projekts eine Bedarfsanalyse bei Studierenden erstellt, die die Chancengerechtigkeit des digitalen Studiums und die daraus ermöglichte Teilhabe für alle untersuchte. Dabei zeigte sich, dass es hilfreich für Studierende ist, wenn Bedarfe gezielt angesprochen werden und sie für sich selbst im Sinne von „Self-Advocacy“ sorgen können. Neben den Kompetenzen, die Studierende mitbringen sollten, wurde aber auch untersucht, wie die Handlungskompetenzen von Lehrenden aussehen. Wird Barrierefreiheit generell mitgedacht oder eher nicht? Im Projekt wurden als Unterstützung verschiedene Tools entwickelt, die im Anschluss an die Forschungsergebnisse dargestellt wurden. So wurden auf typischen Hochschullernplattformen (z. B. Moodle und Illias) „Lernräume“ eingerichtet, die zeigen, wie Kurse barrierefrei aufgebaut werden. Außerdem wurde die Videoplattform „Melvin“ entwickelt. Diese ermöglicht Videoaufnahmen sowie -wiedergaben mit individuellen Einstellungen, wie beispielsweise Untertiteln, Gebärdensprache, Transkription oder auch Farbeinstellungen. „Melvin“ ist übrigens in etwa drei Monaten kostenfrei verfügbar und auch für Schulen nutzbar.

Nach einer kurzen Kaffeepause ging es für die Tagungsgäste mit Florian Hilgers (Landesförderzentrum Sehen, Schleswig) weiter, der auf charmante und unterhaltsame Art zu „Wie Docx – nur besser! Frei skalierbare, digital ausfüllbare Prüfungsunterlagen für Schülerinnen und Schüler mit Sehbehinderung mit Hilfe der Ansicht Weblayout in Microsoft Word“ referierte. Die vorgestellte Ansicht „Weblayout“ (findet sich im Word-Menü unter „Ansicht“) bietet für sehbeeinträchtigte Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, Texte stark zu vergrößern (bis 500 %). Die Texte werden in dieser Ansicht automatisch je nach Vergrößerung umgebrochen, sodass sie immer auf der vollen Bildschirmbreite präsentiert werden. Wird die Ansicht zurück auf „Drucklayout“ gestellt, erscheint der Text in der voreingestellten Schriftgröße. Diese Möglichkeit wird in Schleswig-Holstein beispielsweise für die Aufbereitung von Prüfungsunterlagen genutzt. Über spezifische Anpassungen in der Übertragung können Schülerinnen und Schüler das Weblayout als Vorlage für Prüfungen und Lernstandserhebungen, z. B. in Klasse 8, auswählen und direkt digital in Microsoft Word bearbeiten. Gerade für Prüflinge mit hohem Vergrößerungsbedarf ergeben sich in dieser Ansicht Vorteile, weil das lästige Hin- und Herschieben beim Lesen entfällt, während gleichzeitig Multiple-Choice-Fragen per Mausklick oder über die Leertaste angecheckt werden können. Natürlich eignet sich die Nutzung auch für die alltägliche Arbeit. Neben der Nutzung des Weblayouts lernten die Tagungsgäste außerdem die Schriftart „Atkinson Hyperlegible“ kennen, die kostenlos heruntergeladen werden kann unter https://www.brailleinstitute.org/freefont. Die Schrift ist formklar und für alle digitalen Systeme verfügbar.

Nach der Kurzvorstellung der Seminare konnten die Teilnehmenden die Mittagspause bei Sonnenschein auf dem Schulhof genießen. Markus Stolz, Patrick Temmesfeld und Klaus Wißmann grillten fleißig, sodass alle satt und gestärkt den nächsten Vorträgen zuhören konnten.

Ein „BlindDate mit Gabriel“ wartete am Nachmittag auf die Tagungsgäste. Ann-Katrin Böhm und Markus Lang (Heidelberg) stellten ein weiteres Tool aus dem Shuffle-Projekt vor. Zunächst erläuterte Markus Lang noch einmal den Hintergrund des Projekts und stellte die Ausgangslage der Hochschullehrenden vor, die über Fragebögen analysiert wurde. Dabei wurden sowohl Kenntnisse und Kompetenzen als auch Einstellungen der Lehrenden untersucht. Über Fragen wie: Was bedeutet es, mit Sehbeeinträchtigung zu studieren? Warum ist es wichtig, auch für wenige Studierende Materialien barrierefrei zu gestalten? wurde versucht, ein informierendes Tool zu entwickeln, das durch virtuelle Begegnungen Informationen und Handlungsempfehlungen gibt. Auf der Webseite www.barrierefreies-blinddate.de können derzeit sechs sog. „Personas“ mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen kennengelernt werden – „Gabriel“ gibt Einblicke in seinen Studienalltag als Studierender mit Sehbeeinträchtigung. Es lohnt sich, einmal hineinzuschauen! Über Texte, Filme oder Beispiele aus dem Studienalltag werden Informationen zu Hilfen und Unterstützungsmöglichkeiten gegeben. Dabei werden niederschwellige Lösungsansätze gezeigt, um zu verdeutlichen, dass auch kleine Anpassungen viel bewirken können. Das „BlindDate“ soll in den nächsten Monaten noch weiter ergänzt werden und ist sicherlich auch im Kontext Schule für Fortbildungen gut zu nutzen.

Frank Laemers (Heidelberg) fragte anschließend in seinem Vortrag „Ein Tablet für alles? Tablet-Nutzung bei Sehbeeinträchtigung: Was können wir wissen, was sollten wir tun, was gibt es zu hoffen?“ nach dem Einsatz von Tablets im Schulalltag. Dabei stellte er zunächst die Vorteile der Geräte (leicht, mobil, Vergrößerungsmöglichkeiten etc.) dar, aber auch die Schwierigkeiten. So sollte über ein Tablet nicht die Akzeptanz der Sehbeeinträchtigung gelöst, sondern überlegt werden, wofür sich das Tablet tatsächlich gut eignet. Der Umgang mit verschiedenen Hilfsmitteln sowie die Nutzung effektiver Seh­strategien ist nach wie vor eine wichtige Kompetenz. Gerade im Kontext von beruflichen Ausbildungen ist oftmals noch der Umgang mit den Office-Programmen gefragt. Kenntnisse über verschiedene Hilfsmittel und eine gute Schulung zur Nutzung der Geräte helfen entsprechend in Schule, Studium und Beruf.

Am Nachmittag startete der erste Seminardurchgang für die Tagungsgäste, die neun verschiedene Angebote zur Wahl hatten:

Uli Kalina (Marburg) stellte in seinem Seminar „Mathe mit Word, Jaws und Co.“ praxisnah den konkreten Umgang mit Matheschrift im Unterricht vor. Über vielfältige Übungsbeispiele konnten die Seminarteilnehmenden selbst lesen, schreiben, rechnen, Gleichungen umformen und lösen. Dabei wurden Lösungen für knifflige Probleme erläutert und Erfahrungen zur Umsetzung ausgetauscht.

„Abbildungen – Herausforderungen und Chancen“ wurden von Tanja Schapat und Tobias Mahnke (Marburg) mit den Teilnehmenden erläutert. An vielen mitgebrachten Beispielen wurde deutlich, dass komplexe Abbildungen nicht nur für sehbeeinträchtigte und blinde Lernende eine Herausforderung darstellen. An konkreten Beispielen konnten Fragen zur Adaption und Umsetzung gezeigt werden.

Sebastian Müller (Ilvesheim) ließ in seinem Seminar „Webseiten blind bedienen“. Anhand von Beispielen aus der Praxis wurde gezeigt, welche Befehle wichtig für die schnelle Nutzung bei Internetrecherchen sind und wie diese systematisch eingeführt werden können.

Sonja Schaper und Jutta Claßen (Schleswig) zeigten in ihrem Seminar „Der Einsatz von PDFs am iPad“ die Vermittlung individueller iPad-Kenntnisse am Beispiel der Kursarbeit am Landesförderzentrum Sehen in Schleswig. Neben der Vorstellung des pädagogischen Konzepts konnten die Teilnehmenden das Kursmaterial ausprobieren. Dabei ging es sowohl um digitale Schulbücher bzw. „Hefte“ als auch um andere hilfreiche Anwendungen, wie den Taschenrechner oder ein Nachschlagewerk.

Debora Ziemann (Marburg) stellte an konkreten Beispielen aus dem Mathematikunterricht die Bedienung des wissenschaftlichen Taschenrechners „Arithmico Calc“ vor. Neben praktischen Übungen lernten die Teilnehmenden auch neue Funktionen wie beispielsweise das Erstellen von Funktionsgraphen mit Braille-Beschriftung als Kopiervorlage für Schwellkopien kennen.

„Klickst du noch oder tippst du schon?“ fragte Imke Wißmann (Schleswig) bei ihrem Klassiker „Office ohne Maus“. In ihrem Seminar wurden praxisorientiert Shortcuts für die effektive Nutzung der Programme Word, Excel und PowerPoint von Microsoft vorgestellt und ausprobiert. Im gemeinsamen Austausch wurden Möglichkeiten für die Vereinfachung von Arbeitsprozessen besprochen.

Die Seminare von Florian Hilgers (Schleswig) und Thomas Loscher (Friedberg) berücksichtigten die Arbeit mit Personen mit komplexen Beeinträchtigungen. So behauptete Florian Hilgers „Wunder kosten ab sofort nur noch € 70!“ und zeigte in seinem Seminar, was es damit auf sich hat. Im Winter 2022 brachte die Firma Microsoft ihr Produkt „Microsoft Adaptive Hub“ auf den Markt, der sich per Bluetooth mit digitalen Endgeräten verbinden kann. An verschiedenen Beispielen wurde im Seminar gezeigt, wie weitere, ebenfalls per Bluetooth gekoppelte Taster oder Joysticks über den Adaptive Hub angesteuert werden können und damit neue Möglichkeiten für Personen mit (komplexen) Beeinträchtigungen bieten.

Thomas Loscher zeigte in seinem Seminar „Erstellung von interaktiven Bildungsangeboten für Lernende mit komplexen Beeinträchtigungen mit Hilfe von PowerPoint“, welche Möglichkeiten der Zugänglichkeit über die Nutzung dieses Programms gegeben sind. Die Teilnehmenden konnten selbst eine solche Präsentation erstellen und auf verschiedenen Wiedergabegeräten ausprobieren.

Nach dem traditionellen „Hessischen Buffet“ diskutierten am Abend die beiden sehbeeinträchtigten Studenten (Justus Hein und Pascal Oberbeck) zusammen mit vier Teilnehmenden (Corinna Rühle, Sonja Schaper, Florian Hilgers und Michael Schäffler) unter der Leitung von Frank Laemers über den Einsatz von iPads in der Schule. Dabei wurde deutlich, dass die beiden Studenten während ihrer Schulzeit unterschiedlichste Hilfsmittel genutzt haben und auch heute noch je nach Bedarf nutzen. Alle Podiumsteilnehmenden waren sich einig, dass die Nutzung von Hilfsmitteln von unterschiedlichsten Bedingungen und Faktoren abhängt und es daher keine Pauschallösung geben kann. Dabei spielen auch persönliche Vorlieben eine große Rolle. Als hilfreich empfanden beide Studierenden, dass sie während ihrer Schulzeit viele Hilfsmittel ausprobieren und eine „Mischung“ (z. B. Kombination aus iPad und Laptop) nutzen konnten.

Am Sonntagmorgen begrüßte Tobias Wolfsteiner die Tagungsgäste mit seinem sehr praxisorientierten Vortrag „3-D-Druck 2.0: Anfänger­freundlicher denn je mit einer neuen Generation von 3-D-Druckern und der Datenbank tactiles.eu“. Ein kurzer Rückblick verblüffte sicherlich einige Tagungsteilnehmende: Bereits 2013 gab es erste Vorträge zum Thema 3-D-Druck auf Tagungen der AGs. Die neue Generation der 3-D-Drucker ist mittlerweile deutlich nutzerfreundlicher geworden. So ist mit vielen Geräten beispielsweise ein Mehrfarbendruck möglich, die Geschwindigkeit und Qualität des Drucks hat sich verbessert und auch die Kosten für ein Gerät und Zubehör sind deutlich gesunken. Über die Datenbank www.tactiles.eu können vielfältige Informationen und Richtlinien zum Drucken, zum Einsatz von Modellen, aber auch Vorlagen zum direkten Drucken bezogen werden. Ein Austausch von weiteren Druckvorlagen wird von den Projektleitenden gewünscht, bei Fragen und Interesse kann Tobias Wolfsteiner gern angesprochen werden. Derzeit umfasst die Datenbank etwa 190 Modelle, die nach Unterrichtsfächern über eine Suchfunktion angewählt werden können. Ganz praktisch wurde es dann im Anschluss, als eine möglichst ahnungslose Person aus dem Publikum nach vorne kommen durfte, um selbst über das mitgebrachte Gerät etwas auszudrucken – es funktionierte!

Nach einer kurzen Kaffeepause ging es für die Teilnehmenden in den zweiten Seminardurchgang. Die Tagung in Friedberg endete wie gewohnt mit dem gemeinsamen Abschlussplenum, bei dem sich Judith Schulz und Markus Held stellvertretend bei allen Aktiven mit einem kleinen Geschenk bedankten.

Die nächsten Tagungen der beiden AGs finden statt:

  • AG Inklusion vom 15. bis 17.11.2024 in Weilburg (Hessen)
  • AG Informationstechnologie im Mai/Juni 2025, genaue Informationen folgen noch.

Wir freuen uns auf ein Wiedersehen!

Abbildungen

Judith Schulz

Irisschule Münster

judith.schulz@lwl-irisschule.de