Vorstand des VBS, Patrick Temmesfeld, Michael Weis, Sven Degenhardt, Anne Reichmann

Digitalisierung und Open Access & Born Accessible Publishing: die Fachzeitschrift blind-sehbehindert stellt sich im 144. Jahrgang den Herausforderungen

Mit dem Beginn der institutionellen Blindenbildung hat sich das Fach Blinden- und (später auch) Sehbehindertenpädagogik immer durch seine Vernetzung im nationalen und internationalen Rahmen ausgezeichnet. 1873 fand „Der erste europäische Blindenlehrer-Congress in Wien“ statt und der 37. Kongress für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik 2023 in Marburg konnte diese historische Vorlage aufnehmen. Letzterer würdigte an zahlreichen Stellen das 150. Jubiläum. Bereits 1854 unternahm der Direktor der Berliner Blindenschule Johann Gottfried Hientzsch den ersten Anlauf für eine „Jahresschrift über das Blindenwesen“ und es brauchte dann aber noch ein paar Jahrzehnte, bis 1881 die Zeitschrift „Der Blindenfreund“ erstmals erschien. Seitdem bietet die Zeitschrift – mit Ausnahme der Zeit der nationalsozialis­tischen Herrschaft – ununterbrochen eine Plattform für den fachlichen Austausch und die Informationen über Neuigkeiten im Handlungsfeld. Mit den Veränderungen in der Bildungslandschaft und der verstärkten Fokussierung unterschiedlicher wissenschaftlicher Fächer auf den Bereich der Bildung blinder und sehbehinderter Menschen erweiterte sich auch das Profil der Zeitschrift; diese änderte auch konsequent mehrfach ihren Namen.

Als Fachzeitschrift des Verbandes für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik e. V. gehört die „blind-sehbehindert“ unbenommen zu den ältesten (sie ist älter als die Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete (VHN) und Die Deutsche Schule (DDS) und zu den erfolgreichsten Zeitschriften im deutschsprachigen erziehungswissenschaftlichen Bereich mit einem klaren spezifischen Profil. Dabei versucht die Zeitschrift stets, die Balance zu halten: zwischen den Ansprüchen an eine wissenschaftliche Fachzeitschrift im Feld der Blinden- und Sehbehindertenpädagogik und den Erwartungen an eine Verbandszeitschrift.

Aber Tradition verpflichtet und somit muss auch die blind-sehbehindert die „Zeichen der Zeit“ wahrnehmen und sich weiteren Veränderungen stellen: Die blind-sehbehindert hat bereits seit Jahren ihren blinden und sehbehinderten Abonnentinnen und Abonnenten eine digitale Version im E-Buch-Format zur Verfügung gestellt. Aber die Forderung, die der Verband in allen Debatten u. a. im Rahmen der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSGV) immer an andere Akteure heranträgt, dass das proaktive barrierefreie Anbieten von Dokumenten im Sinne des Born Accessible Publishing in einer inklusiven Gesellschaft angezeigt ist, konnte die Papierfassung der blind-sehbehindert bislang selbst nicht einlösen.

Es wurde also höchste Zeit für eine barrierefreie Zeitschrift blind-sehbehindert!

Die Welt der wissenschaftlichen Publikationen ist – auch im Zuge der Digitalisierung – aktuell stark in Bewegung. Aus Sicht der Nutzerinnen und Nutzer muss konstatiert werden, dass eine Zeitschrift in Papierform, die neben der Verbreitung innerhalb der Mitgliedschaft lediglich in ausgewählten Bibliotheken gelistet ist, nicht mehr zeitgemäß und sichtbar erscheint. Bei einer digitalen Suche nach Autorinnen und Autoren, nach Themen oder Schlagwörtern ist die Zeitschrift aktuell kaum präsent. Durch den Trend einer Öffnung des Wissens für alle durch Publikationen in der immer stärker werdenden Open-Access-Welt entsteht für mitgliedergebundene Publikationen die Herausforderung, diese Schranke ganz oder teilweise, z. B. mit zeitlichem Verzug, abzubauen.

Für den Herausgeber, den VBS, ist es gleichsam wesentlich, die Attraktivität für die Autorinnen und Autoren, insbesondere für (Nachwuchs-)Wissenschaftlerinnen und -wissenschaftler im Fach und außerhalb des Faches sowie die Sichtbarkeit des Verbandes und der Blinden- und Sehbehindertenpädagogik zu erhöhen. Der VBS-Fortbildungskalender sollte auch für Nicht-Mitglieder auffindbar sein – dies kann die Anziehungskraft für die Angebote der Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise des VBS nur steigern.

Diese spannende Gemengelage hat die Redaktion der blind-sehbehindert und den Vorstand des VBS darin bestärkt, eine Neujustierung der Zeitschrift anzugehen. Verbunden mit dem Prozess des Wechsels in der Redaktionsleitung und in enger Abstimmung mit den Gremien des VBS wird die Zeitschrift ab 2024, also dem 144. Jahrgang, in einem neuen Gewand versuchen, die oben beschriebenen Herausforderungen anzugehen.

Die Zeitschrift wechselt zum Verlag „wbv Publikation“ und wird dort das bereits bestehende umfangreiche erziehungswissenschaftliche Angebot an Fachzeitschriften sowie das Open-Access-Programm ergänzen. Die blind-sehbehindert wird durch persistente Identifikation (ISBN für die Zeitschrift, DOI für die Zeitschrift und Aufsätze, ORCID für Autorinnen und Autoren) sowie durch eine umfangreiche Präsenz in unterschiedlichen „klassischen“ und digitalen Katalogen national und international an Sichtbarkeit und Strahlkraft gewinnen.

Für Mitglieder des VBS und Abonnentinnen und Abonnenten besteht die Wahl, die Zeitschrift in Papierform und digital oder ausschließlich digital über die Seiten des Verlages zu beziehen (s. Beilage im Heft 4/23). Ausgewählte Aufsätze und der VBS-Fortbildungskalender werden mit Veröffentlichung als Open Access freigeschaltet; die weiteren Aufsätze und Neuigkeiten aus dem Verbandsleben folgen dann mit einem Jahr Abstand.

Die digitale Publikation erfolgt als barrierefreies PDF und im HTML-Format und löst damit das Ziel des Born Accessible Publishing ein.

Die „neue“ blind-sehbehindert möchte damit die Attraktivität und Sichtbarkeit im modernen Wissenschaftsbetrieb und im Handlungsfeld erhöhen.

An dieser Stelle geht der ausdrückliche Dank an die bisherigen Akteure; an die Mitglieder ergeht folgende Bitte: Genießen Sie die neuen Möglichkeiten mit und in der blind-sehbehindert, füllen Sie die Zeitschrift weiterhin mit Ihren Erfahrungen und Standpunkten und seien Sie bitte ein wenig nachsichtig, wenn es an der einen oder anderen Stelle bei der Umstellung hakt.

Wir freuen uns auf den 144. Jahrgang und die nächste Phase einer erfolgreichen Fachzeitschrift für alle Berufsgruppen, die im Handlungsfeld Blinden- und Sehbehindertenbildungswesen tätig sind und in diesem Fach und angrenzenden Fächern forschen und lehren.

Der Vorstand des VBS
Anne Reichmann, Patrick Temmesfeld,
Michael Weis und Sven Degenhardt
im Dezember 2023