Timm C. Feld, Sebastian Lerch

Editorial

Didaktik? Didaktik!

Die raumzeitliche Verdichtung des Lernens an allen Orten und Zeiten, chic, charmant und selbstgesteuert, macht die Frage nach der Didaktik überflüssig. Didaktik ist in dieser Lesart privat arrangiert, benötigt keine Begleitung und keine Aufbereitung. Wissen und Informationen sind eben überall für jede Person verfügbar.

Gerade aber deshalb sind, so könnte andererseits nun behauptet werden, zielgruppenspezifische, adresseatenbezogene oder subjektorientierte professionelle Gestaltungen der Lehr-Lernwelten notwendig. Durch eine Kolonialisierung der Lebenswelt als Lernwelt könnte freilich wieder argumentiert werden, dass die Pädagogisierung des Lebens als berufliche Zurichtung der Breite, Tiefe und Fülle des Lebens droht. Auch das spricht für eine Didaktik, eine Abgrenzung, einen klaren Auftrag, eine Positionierung, eine erwachsenengerechte Didaktik. Die Frage nach Auftrag, Anspruch, Ziel und überhaupt die Frage, ob „Didaktik“ eine zeitangemessene aktuelle Thematik darstellt, ist klar zu bejahen.

Wenn dem aber so ist, was heißt das dann? Worauf antwortet das Wort „Didaktik“ und welche Konsequenzen folgen für die Akteurinnen und Akteure eines höchst heterogenen Handlungsfeldes wie dem der Erwachsenen- und Weiterbildung? Welche Aspekte einer erwachsenengerechten Didaktik (vgl. Papenkort/Müller 2013) lassen sich vor dem Hintergrund gesellschaftlicher und individueller Transformationen und denen der Veränderungen des Lehrens und Lernens identifizieren? Welche didaktischen Aspekte können benannt werden, um Konzepte des Lehrens zu reflektieren bzw. die Reflexion erwachsenenpädagogischen Handelns zu unterstützen? Welche mikrodidaktischen Arbeitsformen und Methoden sind in diesem Zusammenhang besonders relevant?

Allein durch die Vielfalt dieser Fragen wird die Komplexität und Unabschließbarkeit, zugleich aber die Tragfähigkeit und Reichweite von Didaktik als Begriff und Konzept deutlich. Der Versuch einen Kern von „Erwachsenendidaktik“ (Tietgens 1992), von Didaktik erwachsenengerechten Lehrens und Lernens, von erwachsenenpädagogischer Didaktik herauszuarbeiten usw., muss daher per se scheitern. Daher werden wir in diesem Themenheft unterschiedliche Logiken, Ordnungssysteme und auch Ebenen identifizieren, um die Vielfalt des Begriffs herauszuschälen, die wir hier nicht als Fanal begreifen, sondern als produktive Möglichkeit des bestimmbaren Unbestimmbaren ansehen. Je nach Fokus, je nach grundlagentheoretischer Verortung (z. B. bildungstheoretisch, konstruktivistisch, kompetenzorientiert, identitätstheoretisch, subjektorientiert) oder institutionellem oder persönlichem Selbstverständnis ergeben sich unterschiedliche Perspektiven in, auf und aus Didaktik, die es ernst zu nehmen gilt und denen gleichwohl Schwierigkeit und Chance gleichermaßen innewohnen, das Feld der Erwachsenen- und Weiterbildung didaktisch wahrzunehmen, kennenzulernen, ihm zuzustimmen oder zu widersprechen, eigene Ordnungen zu entwerfen, unbeobachtete Zugänge zu identifizieren.

Das Themenheft möchte auf der einen Seite klassische, bisweilen aber vernachlässigte Systematik aufnehmen, auf der anderen Seite aber auch neuere Modelle (vgl. Schrader 2019) berücksichtigen und dadurch den Versuch unternehmen zu fragen, welche Anker (Plural, sic!) existieren, um einen selbstverständlich klingenden und zugleich vielschichtigen Begriff der Didaktik vor allem für das praktische Handeln in Bildungsorganisationen und das je eigene Handeln der Akteurinnen und Akteure auszuleuchten. Daher schließen unsere Überlegungen an einer Ordnung nach Ebenen didaktischen Handelns an, erweitern diese aber: (1) Auf der Makroebene wird das Gesamtsystem Weiterbildung, die Verflechtungen der Organisationen und ihrer Akteurinnen und Akteure in den Blick genommen, was es uns ermöglicht z. B. aktuelle Entwicklungen wie etwa Digitalisierung, die Entgrenzung des pädagogischen Feldes, Netzwerke sowie flächendeckende Grundversorgung aufzugreifen. (2) Auf der Ebene der Meso-Didaktik wird es dann darum gehen, die Adressaten- und Zielgruppenorientierung im pädagogischen Handeln sichtbar zu machen und damit der Verschränkung von Theorie und Praxis einen Raum zu geben. Insofern steht hier die Betrachtung von Bedürfnissen und Interessen der Adressatinnen und Adressaten vor dem Hintergrund einer sich gegenwärtig stark wandelnden und notwendig sich selbst wandelbarer Weiterbildungslandschaft. (3) Auf der Mikroebene wird es darum gehen, Lehrende und Lernende in der konkreten Lehr-Lern-Situation in den Blick zu nehmen. Hier werden u. a. Aspekte wie Erfahrungs- und Biografieorientierung thematisiert.

Gleichwohl existieren noch andere Möglichkeiten Didaktik zu ordnen und aufzufächern, was im Themenheft auch geschieht, weshalb wir uns dazu entschlossen haben eine zweifache Perspektivierung und zugleich Einschränkung vorzunehmen: Zum einen werden wir für dieses Themenheft keine Logik streng nach Ebenen einziehen und die Beiträge nachher diesen Ebenen zuordnen, denn dies müsste aufgrund des bisher Gesagten und der unterschiedlichen gewählten Perspektiven auf und aus Didaktik der Beiträge selbst scheitern; zum anderen werden wir die gemeinhin für die Hessischen Blätter ins Feld geführte Ordnung nach Theorie und Praxis hier aufbrechen. Auch dies geschieht einerseits aufgrund der engen Verzahnung von Theorie und Praxis bei didaktischen Überlegungen, andererseits changieren die einzelnen Beiträge stets in beiden Feldern. Daher bildet die logische Linie des Themenhefts die Positionierung vom Allgemeinen zum Besonderen bzw. von thematisch aufschließenden und einführenden Beiträgen hin zur Relevanz und Konsequenz und jeweiligen Ausformungen bzw. Konsequenzen für Wissenschaft und Praxis.

Vor diesem Hintergrund wird ein überblicksartiger und umschließender Beitrag von Claudia Kulmus, Maria Stimm und Aiga von Hippel den Band eröffnen. Das Autorinnenkollektiv beleuchtet dabei das Feld einer Didaktik der Erwachsenen- und Weiterbildung anhand verschiedener didaktischer Modelle und beabsichtigte durch den Beitrag insgesamt eine Selbstreflexion und Selbstverständigung der Akteurinnen und Akteure. Julia Franz arbeitet unter Bezugnahme auf klassische Vorstellungen didaktischer Konzepte heraus, dass es lohnenswert ist, bestehende Gerüste aufzunehmen, diese aber zu aktualisieren, weiterzudenken und umzuformen. Im Anschluss an diesen wiederum eher grundlegenden Blick auf das Thema zeigen Julia Koller und Johannes Bonnes in ihrem Beitrag auf, welche Chancen und Grenzen in einer Digitalisierung erwachsenengerechter Didaktik liegen.

Im sich anschließenden Interview durch Timm Feld und Sebastian Lerch nimmt Stefan Schweyer-Wagenhals Stellung zu aktuellen Herausforderungen der universitären Lehre, der wissenschaftlichen Weiterbildung und der erwachsenenpädagogischen Praxis und denkt über neue notwendigerweise sich ergebende und aufzustoßende Wege der Didaktik nach. Stefanie Kretschmer beleuchtet anhand einer konkreten Einrichtung die Herausforderungen und Möglichkeiten der Etablierung eines institutionenspezifischen didaktischen Konzepts und legt dabei den Fokus aus der Praxis durch theoretische Bezugnahmen wieder zurück in die Praxis. Sarah Präßler zeigt anhand eines geförderten Projekts der Volkshochschule Wetzlar auf, wie stadtteilbezogene Bildungsarbeit gelingen kann, und stellt dabei die Besonderheiten in Bezug auf politische bzw. kulturenübergreifende Bildungsangebote vor. Schließlich widmet sich Kim Deutsch dem neuerdings überall wiederkehrenden Topos des Design thinkings, prüft dieses auf historische und semantische Konturen und führt exemplarisch in die konkrete Umsetzung in Seminaren ein.

Gute Lektüre und spannende Impulse wünschen Timm Feld und Sebastian Lerch!

Literatur

Papenkort, U. & Müller, U. (2013). Didaktik für Erwachsene und Didaktiken der Weiterbildung. In Zeitschrift für Weiterbildungsforschung. H. 4, S. 22–31. https://doi.org/10.3278/REP1304W022

Schrader, J. (2019). Institutionelle Rahmenbedingungen, Anbieter, Angebote und Lehr-Lernprozesse der Erwachsenen- und Weiterbildung. In O. Köller, M. Hasselhorn, F. W. Hesse, K. Maaz, J. Schrader, H. Solga, C. K. Spieß & K. Zimmer (Hrsg.), Das Bildungswesen in Deutschland: Bestand und Potenziale (S. 701–730). utb. https://doi.org/10.36198/9783838552835

Tietgens, H. (1992). Reflexion zur Erwachsenenbildungsdidaktik. Bad Heilbrunn.

Autoren

Timm C. Feld, Dr., Leitung der Volkshochschule der Stadt Wetzlar.

Sebastian Lerch, Prof. Dr., Professor für Erwachsenenbildung/Weiterbildung am Institut für Erziehungswissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.