Sarah Präßler

Aufsuchende politische Bildung

Lernförderliche Bildungsarrangements am Beispiel eines Projekts aus dem Weiterbildungspakt Hessen

1 Einleitung

Die Volkshochschule als eine der wichtigsten und bekanntesten Institutionen des lebenslangen Lernens weist ein breites Bildungsangebot auf. Als kommunaler Bildungsträger verpflichtet sie sich zu Bildungsgerechtigkeit und Vielfalt. Die verschiedenen Programmbereiche erfahren jedoch unterschiedlich starke Teilnahmequoten. Während der Sprach- und Gesundheitsbereich gut angenommene Fachbereiche sind, ist die Teilnahme an politischen Bildungsangeboten vergleichsweise gering oder rück­läufig. Es stellt sich daher die Frage, wie politische Bildungsangebote gestaltet sein müssen, um Menschen unterschiedlicher Milieus zur Teilnahme zu bewegen. Welche Formate und Didaktiken sind hierbei von Relevanz und welche Umsetzungsschwierigkeiten gibt es?

Antworten hierauf sind in der aufsuchenden politischen Bildungsarbeit zu finden, die in diesem Beitrag näher beleuchtet wird. Dabei wird zunächst ein kurzer Überblick über politische Bildung an Volkshochschulen gegeben und der Ansatz der aufsuchenden politischen Bildungsarbeit näher beleuchtet. Im Anschluss daran wird das Projekt der Volkshochschule Wetzlar „Gemeinsam lernen im Quartier. Ein Projekt zur aufsuchenden politischen Bildungsarbeit in Wetzlar“ vorgestellt. Anhand von drei darin entwickelten Angeboten werden schließlich konkrete Beispiele für die Umsetzung didaktischer Prinzipien in der aufsuchenden politischen Bildung aufgezeigt.

2 (Aufsuchende) Politische Bildung

Politische Bildung ist traditionell ein wichtiges Themenfeld der Volkshochschulen, das sich im Programmbereich Politik, Gesellschaft und Umwelt wiederfindet. Es gibt eine Vielzahl an gesellschaftspolitischen Themen und Prozessen, die komplex und häufig auf mehreren Ebenen miteinander verwoben sind. Darunter fallen beispielsweise Flucht und Migration, Umwelt/Klimawandel, Digitalisierung, die Auseinandersetzung mit den globalen Zielen für nachhaltige Entwicklung (z. B. soziale Ungleichheit, Globalisierung, Armut, Menschenrechte), Antisemitismus, Rassismus oder andere gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Extremismus u. v. m. Es ist eine zentrale Aufgabe politischer Bildung an Volkshochschulen, Menschen darin zu befähigen und zu bestärken, sich als mündige und engagierte Demokratinnen und Demokraten verantwortungsvoll an gesellschaftspolitischen Debatten und Prozessen zu beteiligen (vgl. Gill et al. 2020, S. 7).

„Politische Mündigkeit umfasst politische Urteilsfähigkeit, Handlungsfähigkeit und Wissen sowie Kommunikations- und Kritikfähigkeit. Ziel ist es, selbstbestimmt in Politik und Gesellschaft agieren zu können – unter Berücksichtigung von Grund- und Menschenrechten.“ (ebd., S. 8)

Politische Bildung zielt also darauf, Wissen über Politik zu erlangen, das dazu befähigt, politisch zu handeln.

Als didaktisches Grundprinzip in der politischen Bildung gilt bis heute der Beutelsbacher Konsens, der die drei Kernpunkte Überwältigungsverbot, Kontroversitätsprinzip sowie Teilnehmenden-/Interessenorientierung beinhaltet. Weiterhin zählen dialogisches Lernen, Handlungs-, Konflikt- und Prozessorientierung sowie Multiperspektivität zu den didaktischen Standards in der politischen Bildung (vgl. ebd., S. 22). Politische Bildungsangebote sollten an der Alltags- und Lebenswelt der Teilnehmenden anknüpfen und Erfahrungen aus verschiedenen Lebenskontexten und Themenbereichen einbeziehen. Im Sinne des Empowerments (i. a. W. Selbstbefähigung oder Selbstermächtigung) können politische Bildungsangebote Menschen oder Gruppen darin bestärken, ihre Ziele und Interessen sichtbar zu machen und zu verfolgen und damit zu politischem Bewusstsein sowie politischer Partizipation beitragen (vgl. Transfer für Bildung e. V., 2021).

Aufsuchende politische Bildung

Der Anspruch der Volkshochschulen, politische Bildung als Volksbildung für alle zugänglich und erlebbar zu machen, scheitert jedoch häufig an der Realität. Die Teilnahme an politischen Bildungsangeboten ist im Vergleich zu den anderen Programmbereichen relativ gering1 (vgl. Ortmanns et al. 2023) und systematisch mit dem sozialen Hintergrund, Habitusmustern und Milieuverortungen verbunden. Für Menschen aus unterprivilegierten Gruppen oder Milieus, beispielsweise mit einem geringen Bildungsabschluss, mit Migrationshintergrund, ohne Erwerbsarbeit oder mit geringem Einkommen, stellt politische Beteiligung (und auch politische Bildung) häufig ein „Auswärtsspiel“ dar (Bremer 2010, S. 5 ff.). In diesen Milieus sind die Wahlbeteiligung und die Repräsentation in Parteien oder Bürgerinitiativen geringer (vgl. Dubois & Blender 2022, S. 10). Zudem besteht häufig eine tief verwurzelte Skepsis gegenüber Bildungsinstitutionen, die auf früheren (meist negativen) Bildungserfahrungen beruht. Es existiert eine habituelle, kulturelle und räumliche Distanz zwischen dem politischen Feld (sowie den Bildungsinstitutionen) und ebendiesen sozialen Milieus (vgl. Berliner Landeszentrale für politische Bildung 2021, S. 4).

Um ihrem Anspruch gerecht zu werden, muss politische Bildung daher sozial-kulturelle2 und physisch-räumliche Distanzen3 überwinden. Einen Ansatz hierfür gewährt die aufsuchende politische Bildungsarbeit. Darin werden Bildungsformate nicht in den Räumlichkeiten der Bildungseinrichtungen angeboten, sondern vor Ort – in den Quartieren an bekannten und vertrauten Orten (wie z. B. Cafés, Vereine, Initiativen, Gemeinden, Quartierbüros), ausgerichtet nach den sozio-demografischen Bevölkerungsstrukturen, Problemstellungen und Lebensumständen. Insbesondere für die Volkshochschulen bedeutet dies eine Umstellung von der klassischen „Komm-Struktur“ in eine „Geh-Struktur“. Bildungsangebote werden nicht mehr rein angebotsorientiert innerhalb der Bildungsinstitution gedacht. Vielmehr werden Menschen vor Ort aktiv in den Bildungsprozess eingebunden, um politische Bildung konkret in ihre Lebenswirklichkeit einzubetten und letztlich Zugangshindernisse zu überwinden sowie andere milieubezogene Zielgruppen als das (klein-)bürgerliche Milieu anzusprechen. Individuelle Themen werden mit gesellschaftlichen und strukturellen Fragestellungen des Quartiers verbunden, um die eigene Selbstwirksamkeit erlebbar zu machen.

Das Angebotsformat und der didaktische Zugang sind offen und vielfältig gestaltbar. Dies kann beispielsweise „Unterhaltungsveranstaltungen, künstlerische Aktionsformen, Stadtspaziergänge, Gründung von Nachbarschaftsgremien und regelmäßige Gesprächsrunden“ (Blender 2012, S. 3) umfassen. Es werden Begegnungsorte eröffnet, die einen niedrigschwelligen und gleichberechtigten Dialog zwischen Menschen unterschiedlicher Milieus schaffen. Aufsuchende politische Bildung kann somit Radikalisierungstendenzen, gesellschaftlicher Spaltung und Politikentfremdung entgegenwirken (ebd., S. 2 f.) – aus dem „Auswärtsspiel“ wird im besten Fall ein „Heimvorteil“.

„Die Teilnahme an solchen Gesprächen ermöglicht es, sich selbst bei einer Meinungsbildung, vielleicht sogar bei einer Meinungsäußerung zu erleben. Als respektvoller Austausch von Meinungen kann so Demokratie als Lebenspraxis erfahren werden.“ (Berliner Landeszentrale für politische Bildung, 2021, S. 36)

Der Zugang zu neuen (Ziel-)Gruppen bzw. Milieus erfolgt über direkte und persönliche Ansprache. Hierfür sind sogenannte „Brückenmenschen“ oder „Vertrauenspersonen“ von zentraler Bedeutung, die im Quartier (oder im Milieu der Adressatinnen und Adressaten) gut vernetzt sind und sich für diese beruflich oder ehrenamtlich einsetzen (vgl. Bremer 2010, S. 7). Hierzu zählen beispielsweise Quartiersmanager*innen, Sozialarbeiter*innen, Mitarbeitende und Ehrenamtliche in Beratungsstellen, Familien-/Nachbarschaftszentren, in Vereinen, Interessenvertretungen, Gremien oder zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure. Aufgrund ihrer Kenntnisse über die sozialen Strukturen können mit ihnen zusammen bedarfs- und lebensweltorientierte politische Bildungsangebote entwickelt werden. Zudem können sie bei der Zusammenführung verschiedener Gruppen und der Vertrauensbildung unterstützen (vgl. Berliner Landeszentrale für politische Bildung 2021, S. 5). Der Aufbau und die Pflege von zuverlässigen Netzwerken und Beziehungen zu Personen und Institutionen sind daher von entscheidender Bedeutung. Gleichzeitig ist dieses Bestreben mit hohen zeitlichen Investitionen verbunden, um ebenjene Personen zu identifizieren und (langfristig) zu gewinnen.

3 Das Projekt „Gemeinsam lernen im Quartier“

Der Weiterbildungspakt 2021 bis 2025 ist eine nach dem Hessischen Weiterbildungsgesetz initiierte Förderung des Hessischen Kultusministeriums mit den öffentlichen und freien Trägern der Weiterbildung in Hessen. Mit einer Fördersumme von insgesamt 13 Millionen Euro hat dieser zum Ziel, „Weiterbildungszugänge zu erleichtern und Integration, Inklusion, Teilhabe und Chancengerechtigkeit nachhaltig zu fördern“ sowie die Qualität der Angebote zu stärken (Hessisches Kultusministerium 2020). Diese Ziele werden in insgesamt 18 Handlungsfeldern bearbeitet. Im Handlungsfeld der politischen Bildung des übergeordneten Zieles der Förderung von Integration, Inklusion, Teilhabe und Chancengerechtigkeit ist das Projekt „Gemeinsam lernen im Quartier. Ein Projekt zur aufsuchenden politischen Bildungsarbeit in Wetzlar“ angesiedelt. Die Volkshochschule Wetzlar hat sich innerhalb einer Projektlaufzeit von drei Jahren (2022 bis 2024) zum Ziel gesetzt, das Angebot an politischer Bildung durch möglichst niedrigschwellige, bedarfsorientierte Formate in den einzelnen Stadtteilen auszubauen und damit zugleich das Fundament für eine nachhaltige, politische Bildungsarbeit in der Stadt zu legen.

Die Stadt Wetzlar besteht aus der Kernstadt und acht Stadtteilen, die sich zum Teil stark in ihren sozio-demografischen Ausprägungen, den sozialen Lagen sowie den stadtteilbezogenen Förderbedarfen unterscheiden. So stehen einige Stadtteile vor enormen Integrationsaufgaben, zeigen hohe Zustimmungswerte für rechte Parteien oder haben hohe Arbeitslosenquoten. Angebote politischer Bildungsarbeit sind in den Stadtteilen nahezu nicht zu finden (vgl. Sozialbericht der Stadt Wetzlar 2017; Projekt „Soziale Stadt“; Ergebnisse der Kommunalwahl 2021). An dieser Leerstelle setzt das Projekt „Gemeinsam Lernen im Quartier“ an. Auf der mikrodidaktischen Ebene steht die Förderung dialogorientierter und aktivierender Bildungsprozesse durch die Ermöglichung von Diskursräumen vor Ort und auf Basis subjekt- und gruppenbezogener Bildungsangebote im Fokus. Auf der Mesoebene werden innerhalb der Organisation Kompetenzen gebündelt und politische Bildung als Themenfeld der Volkshochschule Wetzlar platziert. Auf der Makroebene schließt das Projekt und die darin entwickelten Bildungsangebote die Angebotslücke im Stadtgebiet Wetzlar. Das Vorhaben soll weiterhin dazu beitragen, individuelle Beteiligungsbarrieren und strukturelle Exklusionsprozesse abzuschwächen sowie die institutionelle Vernetzung und Kooperation im Feld politischer Bildungsarbeit zu stärken. Bürger*innen, lokale Vereine, Initiativen, Wirtschaft, Bildungseinrichtungen sowie andere Einrichtungen und Personen sollen aktiv in die Angebotsgestaltung eingebunden werden.

4 Beispiele aufsuchender politischer Bildungsangebote

Für die Entwicklung möglichst niedrigschwelliger und bedarfsorientierter Angebote arbeitet die Volkshochschule Wetzlar mit sogenannten Brückenmenschen zusammen. Zur Identifikation dieser Personen wurden das Projekt und dessen Ziele auf verschiedenen Veranstaltungen vorgestellt, woraufhin sich Personen meldeten, oder Personen wurden proaktiv von der Projektmitarbeiterin angesprochen. Hierbei entstanden beispielsweise Kontakte zu einer Quartiersmanagerin, einer Mitarbeiterin eines Familienzentrums sowie einem Mitarbeiter im Integrationsdienst. Mit diesen Personen sind drei kooperative Angebote entstanden, die aufgrund der Projektförderung kostenlos angeboten werden können. Die Angebotsplanung war gekennzeichnet durch einen intensiven Abstimmungsbedarf über passende Formate und die inhaltliche Ausrichtung. Alle drei Angebote richten sich an Personen mit Migrationshintergrund. Ziel ist es, Menschen unterschiedlicher Herkunft einen Ort der Begegnung zu ermöglichen, der nicht an Schule erinnert, sondern ein gemütliches Beisammensein mit Tee/Kaffee und kleinen Snacks ermöglicht. Zentral ist hierbei, das Café bzw. den Gesprächskreis als offenen Lern- und Begegnungsraum zu verstehen. Neben der Auseinandersetzung mit den thematischen Inhalten ist auch die Förderung des Dialogs untereinander und das gegenseitige Kennenlernen ein wesentliches Kennzeichen.4

Sprachcafé für Frauen

Das Sprachcafé für Frauen ist in Kooperation mit einer Mitarbeiterin eines Familienzentrums entstanden. Die Mitarbeiterin verfügt aufgrund ihrer Arbeit, die beispielsweise die Entwicklung von Angeboten im Familienzentrum sowie die Beratung und Hilfe in Fragen von Schwangerschaft, Geburt und Entwicklung des Kindes umfasst, sehr gute und stellenweise sehr persönliche Kontakte vorwiegend zu Frauen in ihrem Quartier. Die Ansprache, Werbung und Anmeldung erfolgten daher größtenteils über die Mitarbeiterin. Das Sprachcafé für Frauen schließt an ein früheres Angebot des Familienzentrums an, welches aufgrund der Corona-Pandemie und einer fehlenden finanziellen Förderung nicht mehr angeboten werden konnte. Es findet einmal pro Woche vormittags statt. Kinder können mitgebracht werden und bei Bedarf ist eine Betreuung möglich. Das Familienzentrum wurde bewusst als Veranstaltungsort gewählt, da es bereits durch die angeschlossene Kita, andere darin stattfindende Kurse sowie das dortige Büro der Mitarbeiterin vertraut ist.

Das Sprachcafé ermöglicht ein offenes Zusammentreffen, um Sprachkenntnisse zu erweitern und zu vertiefen. Hierbei steht die Verbesserung des Alltagsdeutschs sowie die Erlangung von mehr Sprachsicherheit im Vordergrund. Die Teilnehmerinnen werden von einer erfahrenen Honorarkraft der Volkshochschule unterstützt, die verschiedene Methoden und Übungen je nach Anlass bereithält. Das Sprachcafé ersetzt jedoch keinen klassischen Integrations- oder Orientierungskurs und bereitet nicht auf Prüfungen vor, sondern soll einen niedrigschwelligen Zugang in die deutsche Sprache geben – ohne Prüfungsdruck und Schulatmosphäre. Das übergeordnete Ziel des Sprachcafés ist es, die Teilnehmerinnen zu ermutigen, sich mit ihren eigenen Worten auszudrücken, ihre Meinung mitteilen zu können und sie schließlich darin zu befähigen, ihre Ziele und Interessen sichtbar zu machen.

Ein weiteres Ziel des Cafés ist es, Möglichkeiten zur Teilhabe am Wetzlarer Stadt­leben aufzuzeigen. Hierfür sind verschiedene Sozialraumerkundungen angedacht, die beispielsweise Möglichkeiten der Volkshochschule aufzeigen (z. B. in Form von Schnupperkursen), Ämter und Institutionen der Stadt vorstellen, Museumsbesuche oder Vorträge umfassen. Die Themen und Formate werden in Abstimmung mit den Teilnehmerinnen vorgenommen. Die Herausforderungen hierbei liegen darin, eine Verbindlichkeit für geplante Erkundungen zu schaffen sowie Informationen in einfacher Sprache zu übermitteln. Schließlich ist es Ziel, Gesprächsanlässe auf unterschiedlicher Ebene – in der Frauenrunde mit didaktischen Sprachinputs, bei Ausflügen oder Vorträgen etc. – zu schaffen und so ausgehend von den Interessen der Teilnehmerinnen das Sprechen über vorwiegend gesellschaftliche Themen zu initiieren.

Café International

Das Café International wurde in Kooperation mit einer Quartiersmanagerin entwickelt. In ihrer alltäglichen Arbeit ist sie dafür verantwortlich, die Bürgerbeteiligung und das Bürgerengagement zu fördern sowie einen Beitrag zur Verbesserung der Wohn- und Lebensbedingungen und zum besseren interkulturellen Miteinander zu leisten. Hierfür sucht sie einen engen Kontakt zu den Bewohnerinnen und Bewohnern ihres Quartiers. Das betreffende Quartier ist durch einen hohen Migrationsanteil (über 50 %) gekennzeichnet und weist einen der höchsten Anteile benachteiligter Lebenslagen und Auffälligkeiten in Wetzlar auf. Das Café International entspringt der Idee, ein zusätzliches, offenes Angebot zu den Integrations- und Orientierungskursen der Volkshochschule anzubieten. Diese werden zum Teil im Nachbarschaftszentrum der Quartiersmanagerin durchgeführt, weshalb auch das Café an diesem Ort stattfindet. Die Ansprache und Werbung erfolgte sowohl über persönliche Kontakte der Quartiersmanagerin als auch über die Vorstellung des Angebots in den Orientierungs- und Integrationskursen der Volkshochschule.

Das Café International weist viele Überschneidungen mit dem Sprachcafé für Frauen auf. Es unterscheidet sich jedoch in einigen Punkten. So ist es kein spezifisches Angebot an Frauen. Es richtet sich vornehmlich an diejenigen, die einen Sprachkurs absolvieren – also an Neuzugewanderte. Weiterhin wurde ein niedrigschwelligerer Zugang gewählt, da keine vorherige Anmeldung notwendig ist. Neben sprachlichem Input durch eine Honorarkraft der Volkshochschule sollen auch Diskussionen oder Gespräche angeregt werden, die von den Teilnehmenden gesetzt werden, wie beispielsweise stadtteilbezogene Themen. Nach den ersten Zusammenkünften ist festzustellen, dass sich die Teilnehmenden von der ursprünglich definierten Zielgruppe unterscheiden. Das Angebot wird von Frauen wahrgenommen. Unter ihnen befinden sich auch Frauen, die noch keinen Sprachkurs absolvieren konnten oder die Kriterien für einen Integrationskurs nicht erfüllen. Gemeinsam ist der Wunsch, Anschluss zu finden und gleichzeitig Deutsch zu lernen bzw. die Sprachkenntnisse zu verbessern. Das unterschiedliche sprachliche Niveau setzt hohe Maßstäbe an die Leitung des Cafés, allen Bedürfnissen gerecht zu werden und flexibel in der Gestaltung der einzelnen Zusammenkünfte zu sein. Ein Austausch über aktuelle (politische) Themen rückt daher in den Hintergrund, vielmehr steht aktuell der Anschluss und Austausch mit Gleichgesinnten an einem Ort außerhalb der eigenen Wohnung im Zentrum des Cafés.

Gesprächskreis Integration

Der Gesprächskreis Integration ist in Kooperation mit einem Mitarbeiter eines Inte­grationsdienstes entstanden. Dieser verfügt aufgrund seiner Arbeit und verschiedener Ehrenämter über einen engen Kontakt zu (neu)zugewanderten Personen in Wetzlar. Zudem hat er selbst einen Fluchthintergrund und ein persönliches Interesse an der Thematik. Übergeordnetes Anliegen des Gesprächskreises ist es, in den Austausch zu gehen, was Integration für Menschen mit Migrationshintergrund in Wetzlar bedeutet. Neben inhaltlichen Impulsen wird das Angebot vorwiegend den Fokus auf einen offenen Austausch über individuell abgestimmte Themen legen. Diese nehmen ihren Ausgangspunkt in den Alltagserfahrungen der Teilnehmenden und können beispielsweise Ausgrenzungserfahrungen aufgrund von Diskriminierung und den Umgang damit sowie Möglichkeiten der demokratischen Teilhabe beinhalten. In der Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der politischen Partizipation und dem Austausch über aktuelle politische Geschehnisse (z. B. auch Fluchtursachen) zielt der Gesprächskreis darauf, die Teilnehmenden darin zu bestärken, ihre Ziele und Interessen sichtbar zu machen und zu verfolgen. Eine Herausforderung in der Umsetzung des Gesprächskreises Integration wird die Moderation der Diskussionen mit sich bringen, die einen einfühlsamen Umgang mit den gemachten Erfahrungen erfordert und eventuell unterschiedliche Meinungen über politische Geschehnisse einordnet.

5 Fazit

Die einführende Betrachtung (aufsuchender) politischer Bildung an Volkshochschulen und die Umsetzungsbeispiele verdeutlichen, dass politische Bildungsangebote mit aufsuchendem Charakter anderer didaktischer Formate bedürfen. Aufsuchende politische Bildung strebt danach, möglichst viele Barrieren der Weiterbildungsteilnahme abzubauen, um Menschen anzusprechen, die von den klassischen Formaten politischer Bildung nicht erreicht werden. Oberste Priorität ist es, Menschen in ihrer Lebenswelt abzuholen und sie darin zu befähigen, sich für ihre Interessen zu engagieren. Hierfür bedarf es neuer Zugänge und guter Vernetzung in den Quartieren mit unterschiedlichsten Akteurinnen und Akteuren.

Aufsuchende Angebote finden vor Ort oder an öffentlichen Plätzen statt und sind an den Bedarfen der jeweiligen Menschen vor Ort ausgerichtet. Sie binden daher in zweifacher Hinsicht die Lebensrealität der Menschen mit ein. Sie zielen auf eine dialogorientierte, partizipative und erlebbare Teilnahme. In die Gestaltung der politisch ausgerichteten Lernangebote können daher zum Beispiel auch künstlerische, kulinarische oder lebensweltliche Aspekte einfließen. Wie die drei Beispiele aufzeigen, ist Flexibilität vonseiten der Angebotsorganisation bezüglich der Inhalte, der Zielgruppen oder auch der Umsetzung notwendig.

Literatur

Berliner Landeszentrale für politische Bildung (2021). Aufsuchende politische Bildung. Eine Bestandserhebung in Deutschland 2021.

Blender, J. (unter Mitarbeit von Siegert, W., Quentin, J., Dubois, M. & Tak, I.) (2021). Aufsuchende politische Bildung im Quartier – Der Sozialraum Quartier als Lernort für die Förderung politischer Partizipation.

Bremer, H. (2010). Zielgruppen in der Praxis. Erwachsenenbildung im Gefüge sozialer Milieus. MAGAZIN erwachsenenbildung.at. Das Fachmedium für Forschung, Praxis und Diskurs. Ausgabe 10, 2010. Wien. https://erwachsenenbildung.at/magazin/10-10/meb10-10.pdf

Dubois, M. & Blender, J. (unter Mitarbeit von Siegert, W., Quentin, J. & Tak, I.) (2022). Aufsuchende politische Bildung im Quartier. Der Sozialraum Quartier als Lernort für die Förderung politischer Partizipation. 2. Auflage. Berlin.

Gill, T., Hasse, J., Steenbruck, L. & Witzel, A. (2020). Politische Bildung. Ein Überblick. Zentralen für politische Bildung.

Hessisches Kultusministerium (2020). Weiterbildungspakt für die Jahre 2021 bis 2025. Weiterbildungspakt bis 2025 | kultus. hessen.de

Homepage der Stadt Wetzlar (2021). Informationen zum Projekt „Soziale Stadt“. Online: https://www.wetzlar.de/sozialestadt

Homepage der Stadt Wetzlar: Kommunalwahl. Ergebnisse der Kommunalwahl 2021. Online: https://votemanager-gi.ekom21cdn.de/2021-03-14/06532023/html5/Gemeindewahl_Hessen_303_Gemeinde_Stadt_Wetzlar.html

Ortmanns, V., Huntemann, H., Lux, T. & Bachem, A. (2023). Volkshochschul-Statistik – 60. Folge, Berichtsjahr 2021. Tab8.xlsx (live.com)

Sozialbericht der Stadt Wetzlar 2017 (2017). Herausgegeben vom Magistrat der Stadt Wetzlar. Online: https://www.wetzlar.de/medien/bindata/lebeninwetzlar/Sozialbericht_​2017.pdf

Transfer für Bildung e. V. (27. Oktober 2021). Empowerment. https://profession-politischebildung.de/grundlagen/grundbegriffe/empowerment/

Autorin

Sarah Präßler, Dr. Phil., Projektmitarbeiterin/pädagogische Mitarbeiterin, Volkshochschule Wetzlar.

Review

Dieser Beitrag wurde nach der qualitativen Prüfung durch die Redaktionskonferenz am 11.05.2023 zur Veröffentlichung angenommen.

This article was accepted for publication following the editorial meeting on the 11th May 2023.

So machen Kurse im Programmbereich Politik-Gesellschaft-Umwelt im Vergleich zu den anderen Programmbereichen einen geringen Anteil aus und liegen laut Volkshochschulstatistik aus dem Jahr 2021 deutschlandweit bei 6,9 % (vgl. Ortmanns et al. 2023).

Sozial-kulturelle Distanz meint die fehlende Passung der Angebote beispielsweise hinsichtlich der Themen, pädagogischen Settings, Orte etc. und dem Habitus der Adressatinnen und Adressaten.

Physisch-räumliche Distanz meint die reale Entfernung der Lernorte vom Wohnort und von der Lebenswelt der Adressatinnen und Adressaten.

Das Projekt „Gemeinsam lernen im Quartier“ weist ein breites Spektrum an Themen und Zielgruppen auf. So sind auch Formate zu gesellschaftspolitischen Bereichen wie z. B. Klimawandel, Nachhaltigkeit, Politikgeschichte oder Demokratieförderung entwickelt worden.