Pädagogische Herausforderung durch die Digitalisierung des Verkehrs – Update des Lehrplanes für Orientierung und Mobilität
1 Automatisierte Fahrzeuge
Über das automatisierte Fahren wird viel diskutiert und spekuliert. Daher hier zunächst drei Fakten zur Einführung:
- Im Mai 2022 hat Mercedes-Benz in Zusammenarbeit mit der Google-Tochter Waymo als erster deutscher Automobilhersteller die Zulassung für ein Fahrerassistenzsystem – den sogenannten Drive Pilot – bekommen, das es der Fahrerin oder dem Fahrer erlaubt, unter bestimmten Voraussetzungen die Kontrolle über das Fahrzeug vollständig an die Technik abzugeben. Dies gilt für Geschwindigkeiten bis zu 60 km/h auf Autobahnen. Die Fahrerin/der Fahrer darf während der Fahrt einen Film schauen oder Zeitung lesen, muss aber stets bereit sein, die Kontrolle über das Fahrzeug wieder zu übernehmen. Diese Technik entspricht der SAE-Automatisierungsstufe 3 auf der Skala von 0–5 (SAE 2014). Noch in diesem Jahr soll die Geschwindigkeit auf 90 km/h erhöht werden.
- Am 23. Juni 2022 hat die UN-Wirtschaftskommission für Europa (UNECE) die maximal zulässige Höchstgeschwindigkeit für autonome Fahrzeuge von 60 km/h auf 130 km/h erhöht. Die UNECE setzt den rechtlichen Rahmen für die technische Entwicklung nicht nur für Europa, sondern für zahlreiche weitere Länder.
- Im November 2022 haben Mercedes-Benz und Bosch einen weiteren Meilenstein auf dem Weg zum autonomen Fahren gesetzt: Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) hat die Zulassung für eine Technik in Serienfahrzeugen zum voll automatisierten Parken in Parkhäusern erteilt. Sie wurde erstmals in einem Parkhaus am Stuttgarter Flughafen eingesetzt. Damit handelt es sich um das weltweit erste voll automatisierte und fahrerlose Parksystem, das die Serienzulassung für ein Fahrzeug und die Infrastruktur bekommen hat. Das entspricht der SAE-Automatisierungsstufe 4.
Bei allen Problemen, die sicher noch zu lösen sind, handelt es sich doch um eine Entwicklung, die sich gerade mit enormer Geschwindigkeit vollzieht, geht es doch um nichts weniger als die Frage, wer den Mobilitätsmarkt der Zukunft beherrschen wird. Autonome und vernetzte Fahrzeuge sind keine Vision in der fernen Zukunft mehr, sondern sie werden die Mobilität in den hoch entwickelten Ländern in den nächsten 5–10 Jahren revolutionieren. Wir sind also gut beraten, uns frühzeitig methodisch-didaktisch auf diese neuen Herausforderungen vorzubereiten. Dies betrifft ausdrücklich nicht nur blinde und sehbehinderte Schülerinnen und Schüler, sondern auch und gerade Betroffene in fortgeschrittenem Alter, die ihre gesellschaftliche Teilhabe durch eine kompetente Nutzung digitaler Angebote erhalten bzw. steigern können.

Abbildung 1: Versuchsfahrzeug Easymile EZ 10, 2. Generation vor dem LWL-Berufsbildungswerk Soest
2 Barrierefreiheit in Bezug auf automatisierte Fahrzeuge im ÖPNV
Erstmals wurde das Thema „Barrierefreiheit in Bezug auf das autonome Fahren“ auf der Generalversammlung der Europäischen Blindenunion 2015 in London thematisiert (vgl. Denninghaus & Cory 2015). Darauf aufbauend hat der Gemeinsame Fachausschuss für Umwelt und Verkehr des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV) am 06. Oktober 2019 einen „Anforderungskatalog blinder und sehbehinderter Nutzer an das autonome Fahren“ vorgelegt (DBSV 2019). Dieses Dokument gibt eine Reihe von Hinweisen, warum es wichtig ist, sich auch methodisch und didaktisch in der Unterweisung in Orientierung und Mobilität (O&M) mit diesen neuen Herausforderungen auseinanderzusetzen. Dazu folgen einige Beispiele.
Bisher kann man selbstverständlich davon ausgehen, dass in einem Bus ein Busfahrer oder eine Busfahrerin sitzt, den bzw. die man gegebenenfalls nach der Linie und dem Ziel fragen kann und der bzw. die den Bus so zum Halten bringt, dass eine blinde Person möglichst direkt vor einer Tür steht. Diese Gewissheit wird es bald nicht mehr geben. Schon in wenigen Jahren werden Linienbusse ohne Personal unterwegs sein und blinde und sehbehinderte Menschen müssen Methoden und Verhaltensweisen erlernen, wie sie ohne die Assistenzleistungen durch das Personal im Fahrzeug zurechtkommen, auch wenn mithilfe technischer Lösungen Personen mit Langstock auch zukünftig vom Fahrzeug erkannt werden. Vielversprechende Versuche hierzu wurden im Rahmen des Forschungsprojektes Ride4All gemacht.
Zukünftig werden wir es neben den bekannten Haltestellen für Busse und Bahnen auch mit virtuellen Haltestellen zu tun haben. Das sind definierte Stellen, an denen Fahrzeuge von Mobilitätsdienstleistern anhalten, um Passagierinnen und Passagiere aufzunehmen oder aussteigen zu lassen. Dazu müssen Methoden und Verhaltensweisen vermittelt werden, um ein sicheres Auffinden und Verlassen des Fahrzeuges zu gewährleisten, zumal auch diese Fahrzeuge zukünftig ohne Personal unterwegs sein werden.
Hatten wir es bisher an einem Ort in der Regel mit einem einzigen Anbieter für fahrplanmäßige Mobilitätsdienstleistungen zu tun, so wird es in der Zukunft vor allem in den Ballungsräumen neben dem Linienverkehr und den Taxis weitere Anbieter geben. Ihre Angebote können im Einzelfall den besseren Service für die Nutzerinnen und Nutzer bieten. Dementsprechend muss die Funktionalität ihrer Smartphone-Applikationen geprüft und gegebenenfalls gelernt werden.
Neben dem traditionellen Linienverkehr von Bussen und Bahnen wird es zukünftig deutlich mehr On-Demand-Verkehre geben, d. h., dass ein Bus oder sonstiges Fahrzeug nur dann verkehrt, wenn es per Telefon oder App bestellt wird. Auch diese Dienste werden früher oder später ohne Fahrpersonal unterwegs sein und so ihren Service auch in Tagesrandzeiten oder nachts anbieten können.
Eine besondere Form des On-Demand-Verkehrs ist das sogenannte Ride-Pooling, wie es zurzeit z. B. von der VW-Tochter MOIA in Hamburg erprobt wird. Über einen Algorithmus wird die Route der Fahrzeuge so festgelegt, dass möglichst viele Fahrgäste aufgenommen und an ihr individuelles Ziel – in der Regel eine virtuelle Haltestelle – gebracht werden können (vgl.: https://www.moia.io/de-DE). Hamburg strebt an, dass bis 2030 jede Bürgerin und jeder Bürger maximal 5 Minuten von einer (virtuellen) Haltestelle entfernt wohnt. Dieses Ziel ist nur mit einem hochdifferenzierten Verkehrssystem zu erreichen.
3 Methodische und didaktische Anforderungen in O&M
Die folgenden Ausführungen basieren auf den Handlungskonzepten im Kapitel „Öffentliche Verkehrsmittel“ aus dem Buch „Mobilität und lebenspraktische Fertigkeiten im Unterricht mit sehgeschädigten Kindern und Jugendlichen“ von Rosa Weiss-Gschwendner (2000).
3.1 Fahrpläne
Unter der Überschrift „Grundwissen“ finden wir zunächst das Lernziel „Fahrpläne lesen und verstehen“ mit den entsprechenden Lerninhalten. Dabei wurde im Jahr 2000 selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Fahrpläne als Fahrplanhefte in gedruckter Form vorliegen, und es wurde darauf hingewiesen, dass einige Verkehrsträger wie die Deutsche Bahn Fahrpläne auf CD anbieten. Entsprechend wird bei der Methodik/Didaktik das Vergrößern durch Kopieren oder die Übertragung in Braille empfohlen.
24 Jahre später gibt es praktisch keine gedruckten Fahrplanhefte mehr. Das telefonbuchdicke Kursbuch der Deutschen Bahn wird schon lange nicht mehr aufgelegt. Stattdessen stellen Verkehrsträger ihre Fahrpläne heute in der Regel über Handy-Apps zur Verfügung, die unterjährig aktualisiert werden und oft auch Echtzeitinformationen bereitstellen. Während es früher nur einen Fahrplan für den öffentlichen Verkehr in einer Stadt oder Region gab, muss man heute verschiedene Applikationen kennen und von Fall zu Fall entscheiden, welche App für die gewünschte Route die besten Informationen liefert. Die Lernziele müssen also dahingehend erweitert werden, dass Kriterien für die Auswahl der geeigneten Applikation sowie deren Besonderheiten erarbeitet und vermittelt werden müssen.
3.2 Fußgängernavigation
Die Technik bietet uns heute darüber hinaus auch unterschiedliche Applikationen für die Fußgängernavigation, die für sich allein oder in Kombination mit einer Fahrplan-App genutzt werden kann. Dies ist eine neue Qualität. Doch auch hier ist es notwendig, grundlegende Eigenschaften sowie Besonderheiten der einzelnen Applikationen zu erarbeiten, um die Lernpartnerinnen und -partner in die Lage zu versetzen, die für sie jeweils am besten geeignete App auswählen zu können. Selbstredend sind die praktische Erprobung unter Anleitung und das Sammeln von Erfahrungen dabei von zentraler Bedeutung.

Abbildung 2: Smartphone mit Mobil-Info-App, bei der der Fußweg angezeigt wird. Bei Betätigung des Pfeiles im roten Kreis startet die Fußgängernavigation.
3.3 Routen erstellen und auswählen
Das Lernziel „Fahrstrecken erstellen und die besten Verbindungen finden“ ist nach wie vor aktuell, da auch die Applikationen in der Regel verschiedene Routen bzw. Verbindungen anbieten. Dabei ist die schnellste Verbindung für eine blinde oder sehbehinderte Person nicht immer die am besten geeignete. Aber mit diesen Überlegungen sind wir noch in der Gegenwart. – Schauen wir nun in die Zukunft:
Der DBSV fordert zwar in seinem Anforderungskatalog, dass es auch zukünftig möglich sein müsse, öffentliche Verkehrsmittel ohne ein Handy benutzen zu können. De facto wird es jedoch so sein, dass eine sichere und komfortable Nutzung des ÖPNV in der Zukunft praktisch nur mit einem Smartphone als Schnittstelle zum Fahrzeug, als „Human-Machine-Interface“, möglich sein wird. Da die Darstellung der Applikationen und ihre Funktionalität abhängig sind vom Betriebssystem, dem Handymodell und der aktuell genutzten Softwareversion, ist zunächst zu überprüfen, ob die gewünschten Apps auf dem Gerät der zu schulenden Person einwandfrei laufen. Dies kann sich übrigens mit jedem Update des Betriebssystems oder einer App ändern und muss immer wieder nachgehalten werden. Das Handy stellt also das zentrale Medium dar, mit dem auch zunehmend Bezahlvorgänge abgewickelt werden.
4 Was bedeutet das nun für die Unterrichtspraxis in O&M?
4.1 Kommunikationsschnittstelle zum Fahrzeug
Sind die Apps der infrage kommenden Mobilitätsanbieter ausgewählt sowie gegebenenfalls die passende Fußgänger-Navigations-App, können die Grundeinstellungen in den Apps vorgenommen werden. Die Nutzenden müssen die verschiedenen Möglichkeiten kennenlernen und wissen, was es bedeutet, wenn ich angebe, dass ich sehbeeinträchtigt oder mobilitätseingeschränkt bin. So ist es für blinde Personen im Gegensatz zu Rollstuhlnutzenden wenig zielführend, nur Stationen mit Aufzug angezeigt zu bekommen. Die Einstellung der individuell gewünschten Umstiegszeit und ihre Auswirkung auf die vorgeschlagenen Routen müssen vermittelt werden. Entscheidend ist dabei natürlich, ob ausschließlich ein ganz bestimmter Weg gelernt werden soll oder ob eine souveräne Nutzung des ÖPNV in einer Stadt oder einer Region angestrebt wird.
4.2 Merkmale des Fahrzeuges kennen & vermitteln
Das zentrale Element des ÖPNV bilden natürlich auch in Zukunft die Fahrzeuge. Neben den klassischen Linienbussen und Taxen wird es eine zunehmende Zahl von Kleinbussen – neudeutsch People Moover oder Shuttle – geben, die jeweils unterschiedliche Eigenschaften aufweisen werden. Da kein Fahrer und keine Fahrerin mehr an Bord sein wird, der bzw. die gegebenenfalls freundliche Hinweise geben kann, ist es wichtig, die Fahrzeuge, mit denen man rechnen muss, vorzustellen und ihre Eigenschaften zu vermitteln. Zentral ist dabei die Frage, wie ich als sehbeeinträchtigte Person die Information bekomme, dass das von mir gewünschte oder bestellte Fahrzeug bereitsteht und ob ich sicher einsteigen kann. Diese Information könnte über Außenlautsprecher erfolgen, über Signaltöne oder über eine Bluetooth-Verbindung mit dem Smartphone. Und das kann zukünftig durchaus unterschiedlich sein. Auch der Innenraum der Fahrzeuge wird voraussichtlich unterschiedlich gestaltet sein, sodass auch hier eine praktische Erprobung und Vermittlung der wichtigsten Eigenschaften zweckmäßig ist. Dabei sollten folgende Punkte berücksichtigt werden:
Werden Fahrziel und Haltestellen im Fahrzeug angesagt oder erfolgt das ausschließlich über meine App?
Welche Geräusche macht das Fahrzeug und was haben sie zu bedeuten?
Wie sind die Sitzplätze im Fahrzeug angeordnet und gibt es Plätze für schwerbehinderte Menschen? Wo kann ich mich gegebenenfalls festhalten?
Werden zusätzliche akustische Ansagen beim Ausstieg gegeben wie z. B. „Achtung, Fahrradweg“?
Wie verhalte ich mich in Notsituationen und wie könnte ich Kontakt zur Leitstelle aufnehmen?
4.3 Merkmale der Haltestellen
Wie oben bereits erwähnt, haben wir es in der schönen, neuen Mobilitätswelt nicht mehr nur mit Bahnsteigen und Bushaltestellen zu tun, an denen dann auch automatisierte Fahrzeuge halten, sondern auch mit virtuellen Haltestellen, die eigene Anforderungen an die Nutzerinnen und Nutzer stellen. Neben der Vermittlung des Prinzips ist hier gegebenenfalls von Fall zu Fall zu klären, ob diese Haltestellen für Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen geeignet sind und was gegebenenfalls bei ihrer Nutzung beachtet werden muss.
4.4 Vorschlag für einen Fachlehrplan in Orientierung & Mobilität unter Berücksichtigung digitaler Medien und fahrerloser Fahrzeuge
Die Lernziele und -inhalte sowie methodische und didaktische Aspekte werden in Tabelle 1 aufgeführt:
Tabelle 1: Vorschlag für einen Fachlehrplan in Orientierung & Mobilität unter Berücksichtigung digitaler Medien und fahrerloser Fahrzeuge
Nr. |
Lernziel |
Inhalt |
Aufgaben der Reha-Fachkraft |
Methodik/ |
---|---|---|---|---|
1 |
Öffentliche Verkehrsmittel und das Verkehrsangebot kennen |
Kennenlernen des öffentlichen Verkehrsangebotes (Fahrzeuge, Fahrplan, Routen, Anbieter etc.) |
Abklärung des Kenntnis- und Erfahrungsstandes; |
Auf der Basis der bisherigen Kenntnisse und Fertigkeiten wird der Erwartungshorizont mit dem TP geklärt und die erforderlichen Informationen sachgerecht aufbereitet – Modelle, schriftliche Unterlagen, Webseiten, Apps |
2 |
Mit und ohne Begleitung sicher ein- und aussteigen und sich in Bus und Bahn orientieren können |
Mit dem TP Verkehrsmittel erforschen, allgemeine Merkmale erarbeiten und Unterschiede kennenlernen |
Schulungssituation organisatorisch und inhaltlich vorbereiten, wesentliche Merkmale der Fahrzeuge und Techniken zur sicheren Nutzung vermitteln; Orientierungshilfen je nach Sehvermögen vermitteln (Leitstreifen, Piktogramme, Infotafeln etc.); unterschiedliche Geräusche des Fahrzeuges kennenlernen und bestimmen |
Je nach Vorerfahrung des TP Fahrzeuge und ihre Einrichtung zunächst im Ruhezustand (Betriebshof) oder direkt im Betrieb erkunden und sichere Orientierung und Verhalten vermitteln. – Langstock, Monokular, Handy etc. |
3 |
Inneneinrichtung kennen |
Z. B. Anordnung der Sitze, Anordnung der Stehplätze, Haltevorrichtungen, Lage der Behindertenplätze, Position der Druckknöpfe, Informationsbeschaffung |
Anordnung der Sitze vermitteln, Aufsuchen eines freien Sitzes üben, Aufsuchen von Haltevorrichtungen, Auffinden von Haltegurten, zur Sicherung eines Rollstuhls, mögliche Abstellplätze für Gepäck; Schutz vor Einklemmen des Stockes und seine Aufbewahrung vermitteln, Ein- und Ausstieg üben |
Vermittlung durch praktisches Handeln am und im Verkehrsmittel |
4 |
Elektronische Hilfsmittel zur Vorbereitung und Durchführung einer Fahrt kennen und beherrschen |
Kennenlernen von Internetseiten und Applikationen zum ÖPNV und die Einübung ihrer Nutzung |
Klärung der technischen Voraussetzungen des TP (Handy-Typ und Version des Betriebssystems, PC und Assistenzsoftware) sowie der Kompetenzen im Umgang mit den Geräten; Vermittlung der Funktionsweise der Programme/Applikationen zur Fahrtvorbereitung und -durchführung; Erarbeitung der individuellen Grundeinstellungen |
Auswahl der individuell geeigneten Programme bzw. Applikation(en); Sicherstellen, dass die gewählten Programme/Applikationen auf dem Endgerät des TP einwandfrei funktionieren. Systematisch in die Nutzung eines oder mehrerer Programme oder Applikationen einschließlich behinderungsspezifischer Features einführen und nach einer Übungsphase unter Supervision praktisch anwenden. |
5.1 |
Haltestellen sicher auffinden und verlassen können |
Aufbau und Eigenschaften der Haltestellen unterschiedlicher Verkehrsmittel kennen und nutzen lernen |
Typische Merkmale von Haltestellen (Schemata und ihre Varianten) vermitteln und ihre Nutzung einüben: Auffinden einer Haltestelle; Vermittlung von Techniken zur sicheren Nutzung der unterschiedlichen Haltestellen; Nutzen einer geeigneten Mobilitäts-App inkl. Fußgängernavigation |
Vermittlung der verschiedenen Elemente und ihrer Funktion anhand praktischer Beispiele im Original oder im Modell wie Haltestellenschild, Wartehäuschen, normaler Bordstein versus Hochbord, Bahnsteighöhen bei Schienenfahrzeugen, unterschiedlich gestaltete taktile Leitstreifen und Aufmerksamkeitsfelder am konkreten Objekt |
5.2 |
Sich richtig positionieren können |
Wo genau an der Haltestelle warte ich? |
Unterweisung angemessener Orientierungstechniken und Verhaltensweisen |
Unterweisung und Supervision am konkreten Objekt – Langstock, Smartphone |
5.3 |
Richtiges Fahrzeug identifizieren können |
Methoden kennenlernen, um sicherzustellen, dass es sich um das richtige Fahrzeug handelt (Linie, Ziel etc.) |
Vermittlung entsprechender Techniken (Fahrer/Fahrerin oder Passagiere/Passagierinnen fragen, elektronische Verbindung zum Fahrzeug herstellen und Ansage auslösen) |
Übung sozial angemessenen Verhaltens/Übung der Nutzung einer Applikation oder eines anderen Hilfsmittels |
5.4 |
Die Tür gefahrlos finden und einsteigen können |
Einüben taktiler und elektronischer Methoden zum sicheren Auffinden der Fahrzeugtür |
Einweisung in die unterschiedlichen Techniken unter Nutzung des Langstockes, akustischer Hinweise und elektronischer Features (Auslösen des Türfindesignals in der App) |
Unterweisung und Supervision am konkreten Objekt – Langstock, Smartphone |
5.5 |
Sitzplatz finden können |
Einüben von Methoden zum Auffinden eines Sitzplatzes:
|
Vermittlung von Techniken und Verhaltensweisen, Vermittlung von Informationen (z. B. mögliche Anschnallpflicht) |
Unterweisung am konkreten Objekt – Langstock |
5.6 |
Haltewunsch bekanntgeben können |
Lernen, wie man in den verschiedenen Fahrzeugtypen Informationen über den Fahrtverlauf bekommt und wie man seinen Haltewunsch bekannt gibt (Druckknopf, App) |
Position der Haltewunschtasten vermitteln/Einweisung in die Funktion bei Verwendung einer Fahrtbegleitung über eine App |
Übung im konkreten Fahrzeug, gegebenenfalls mit Einsatz einer App |
5.7 |
Sicher aussteigen können |
Verhalten vor, während und nach dem Aussteigen üben unter besonderer Berücksichtigung der unterschiedlichen Fahrzeugtypen und Haltestellen |
Auf Gefahren hinweisen und sichere Verhaltensweisen und Techniken vermitteln |
Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten/Supervision – Langstock, Smartphone |
6 |
Fußgängernavigation in Kombination mit Mobilitäts-App anwenden können |
Auf der Basis der bereits erarbeiteten Kompetenzen des TP eine geeignete Fußgänger-Navigations-App aussuchen und deren Anwendung in Kombination mit der bevorzugten Mobilitäts-App einüben |
Anleiten bei der Auswahl geeigneter Applikationen, Vorstellen von Auswahlkriterien, Unterstützung bei der Bewertung vor allem unter Sicherheitsaspekten. Anleitung bei der Grundeinstellung (z. B. Umsteigezeiten, behinderungsspezifische Bedarfe) |
Beratung bei der Auswahl und Anleitung bei der Nutzung der Apps unter der Nutzung von Assistenzsoftware; Erläuterung grafischer Bildschirminhalte und der Menüstruktur |
7 |
Bekannte Verbindung von A nach B selbstständig bewältigen können |
Einüben des praktischen Einsatzes einer oder unterschiedlicher Mobilitäts-Apps in Verbindung mit Fußgängernavigation |
Supervision der Anwendung und Sicherheit gewährleisten |
Der TP wendet die Applikationen möglichst selbstständig an und erhält gegebenenfalls Rückmeldung oder Hilfestellung bei der Umsetzung |
8 |
Selbstständig eine neue Route erarbeiten und bewältigen können |
Eine Aufgabenstellung wird selbstständig erarbeitet und bewältigt |
Rat geben und supervidieren |
Beratung und Supervision |
9 |
Trouble Shooting |
Problemlösungsstrategien für unterschiedliche Situationen auf dem Weg zum oder vom Fahrzeug sowie im Fahrzeug kennenlernen und gegebenenfalls einüben |
Verhalten bei Orientierungsverlust oder bedrohlichen Situationen innerhalb und außerhalb des Fahrzeuges wird eingeübt |
Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten |
5 Fazit
Autonome Fahrzeuge werden in wenigen Jahren Bestandteil des ÖPNV sein. Ihre Nutzung stellt neue Anforderungen an blinde und sehbehinderte Menschen, eröffnet ihnen jedoch auch neue Möglichkeiten der Mobilität und damit der gesellschaftlichen Teilhabe. Pädagogische Konzepte müssen fortgeschrieben und an neue Herausforderungen angepasst werden. Dabei bleibt der weiße Langstock das zentrale Hilfsmittel für blinde Menschen; das Monokular kann in vielen Situationen auch durch das Smartphone ersetzt werden, wobei auch die Funktion des Smartphones als vergrößernde Sehhilfe gelernt sein will. Werden die digitalen Helfer erst einmal beherrscht, so können sie die Chancen auf Teilhabe erweitern; die fachgerechte Unterweisung wird jedoch komplexer und bedarf gegebenenfalls eines höheren zeitlichen Aufwands.
Literatur
DBSV (2019). Anforderungskatalog an das autonome Fahren. Online verfügbar unter https://www.dbsv.org/anforderungskatalog-an-das-autonome-fahren.html (aufgerufen am 04.07.2023).
Denninghaus, Erwin/Cory, Pamela (2015). „Barrierefreiheit in Bezug auf das autonome Fahren“. Vortrag auf der Generalversammlung der Europäischen Blindenunion, 2015, London (unveröff. Manuskript).
Kreis Soest (Hrsg.) (2022). Konzept zur Barrierefreiheit und sozialen Akzeptanz von autonom fahrenden Bussen – Verbundprojekt Ride4All. Gefördert durch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr. Selbstverlag. Online verfügbar unter https://Ride4All.nrw/veroeffentlichungen (aufgerufen am 18.01.2024).
SAE International (2014). Norm SAE J3016_201401 Taxonomy and Definitions for Terms Related to On-Road Motor Vehicle Automated Driving Systems. Online verfügbar unter https://www.sae.org/standards/?search=J3016 (aufgerufen am 19.01.2024).
Weiss-Gschwendner, Rosa (2000). Mobilität und lebenspraktische Fertigkeiten im Unterricht mit sehgeschädigten Kindern und Jugendlichen. Würzburg, Edition Bentheim.