Berichte wertfrei schreiben – nicht nur in der Sozialen Arbeit

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Gut strukturierte und präzise Berichte dokumentieren in der Sozialen Arbeit den Verlauf von Hilfeprozessen, sichern Betreuungsqualität und ermöglichen effektives Teamwork. Weil sich die Berichte oft an verschiedene Lesergruppen wenden, müssen sie nicht nur für Fachexperten nachvollziehbar und verständlich sein, sondern auch für Laien oder Fachfremde. Berichte sind also auch Schnittstellen zu angrenzenden Bereichen wie Medizin, Psychologie oder Verwaltung. Klare Kommunikation und transparente Dokumentation sind gefragt. Wie erstellt man Berichte, die diese Anforderungen erfüllen - nicht nur in der Sozialen Arbeit? 

Wertfreies Schreiben will gelernt sein – Rückblick und Beispiel
Professionelles Schreiben hat in der Sozialen Arbeit eine lange Tradition. Es spiegelt die Entwicklung des Berufsstandes ebenso wider, wie gesellschaftliche, politische und institutionelle Veränderungen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war Sozialarbeit vor allem ehrenamtlich, christlich-karitativ geprägt. Berichte hatten hauptsächlich verwaltende oder moralisch belehrende Funktionen. Mit der zunehmenden Professionalisierung der Sozialen Arbeit veränderte sich auch die Form der Dokumentation und Berichte wurden zunehmend als Instrument fachlicher Reflexion und Planung verstanden.

Die Entwicklung zeigt: Die sprachliche Qualität von Berichten gewinnt zunehmend an Bedeutung. So spielen Interpretationen und Wertungen durch Sprache  in der Sozialen Arbeit eine außerordentlich wichtige Rolle. Sprache informiert nicht nur, sondern sie wirkt auch – auf Menschen, Beziehungen und Entscheidungen. Die Heimeinweisung oder Fremdplatzierung eines Kindes ist eine enorme existentielle und einschneidende Maßnahme, die häufig auf der Basis von Berichten und Gutachten in der Sozialen Arbeit getroffen wird. Die Texte müssen hohen fachlichen Standards genügen und durchgängig präzise und unmissverständlich formuliert werden, besonders im Hinblick auf wertende Sprache.

In welcher Form gewertet werden kann, zeigt folgender Beispielspielsatz: «Die neue Wohnung von Frau K. ist schön und sauber – ein richtiges Schmuckkästchen –, aber vielleicht doch etwas zu kostspielig.» Hier sind z.B. Bewertungen durch die Adjektive schön, sauber und kostspielig enthalten sowie durch die Metapher Schmuckkästchen. Die negative Wertung wird durch die Gradpartikel etwas und das Modalitätsadverb vielleicht modifiziert. Das Adverb zu kennzeichnet etwas, das nicht mehr angemessen oder akzeptabel erscheint. Neben expliziten und direkten Wertungen, wie im Beispiel die Adjektive schön oder sauber, kann in Berichten aber auch unbeabsichtigt und implizit gewertet werden, zum Teil mit erheblichen negativen Auswirkungen für Klientinnen und Klienten. Im Satz «Sie bemüht sich schon.» wird durch die Partikel schon eine Bemühung abgewertet. Sachlicher wäre die Formulierung: «Sie zeigt Bemühungen, benötigt jedoch weiterhin Unterstützung.» Bereits in den 1970er Jahren wurde das Begriffs- und Sprachinstrumentarium in der Sozialen Arbeit kritisch diskutiert und Beschreibungen bestimmter Verhaltensweisen wie «lasterhaft», «entartet», «kriminell», «arbeitsscheu», «in den Tag hineinlebend» durch wertfreie Begrifflichkeiten ersetzt (vgl. Linnemann 1998, S. 35-36). Bis heute ist ein aufmerksamer Umgang mit wertender Sprache eine zentrale Herausforderung beim Schreiben von Berichten, denn die Folgen unbedachter oder impliziter Wertungen können zu Stigmatisierungen („Problemkind“, „renitent“, „nicht belastbar“) und bei Dritten zu Fehlinterpretationen führen.

Bedeutung von professionellem Schreiben in der Sozialen Arbeit
Professionelles Schreiben hat eine zentrale Bedeutung in der Sozialen Arbeit. Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter verbringen bis zu 50 % ihrer Arbeitszeit mit dem Verfassen von Berichten. Daher wird auch in diesem Bereich zunehmend über die Unterstützung durch textgenerierende Künstliche Intelligenz diskutiert. Aber die besondere Funktion des geschriebenen Berichts für die Arbeit der Sozialarbeiter:innen sollte in diesem Zusammenhang nicht unterschätzt werden.

Der Prozess des Schreibens ist ein Katalysator, der Gedanken und Vorstellungen aus einem ungeordneten, unstrukturierten und simultanen Zustand in eine linear geordnete Abfolge von sprachlichen Zeichen bringt. Nicht nur Sozialarbeiter:innen reflektieren im Vorgang des Berichtens ein zurückliegendes Gespräch, einen Besuch oder die Situation von Klient:innen. Die Anwendung präziser Formulierungen und genauer Analysen beim Schreiben von Berichten können die praktische Arbeit beschleunigen. Dieser enge Zusammenhang zwischen Berichterstattung und beruflichem Handeln ist einer der Gründe dafür, dass Sozialarbeiter:innen unbedingt über Schreibkompetenzen verfügen sollten und berufliches Schreiben grundlegend in Aus- und Weiterbildung integriert werden muss. Besonders Berufsanfänger:innen sollten grundsätzlich kritisch hinterfragen, ob ihre Berichte die sprachliche Qualität haben, um alle Aspekte der von ihnen betreuten Fälle sachlich, präzise und verständlich wiederzugeben.

Das gilt aber nicht nur für die Soziale Arbeit sondern für alle Berufsbereiche, in denen Berichte eine wichtige Rolle spielen: Controlling und Unternehmensführung, Medizin und Pflege, Psychologie und Sozialpädagogik sowie Öffentliche Verwaltung und Recht.

Für wen schreibe ich? Adressatengerechtes Schreiben durch Perspektivwechsel
Eine weitere Herausforderung für Berichte in der Sozialen Arbeit ist das sogenannte „doppelte Mandat“, der Balanceakt zwischen Hilfe und Kontrolle. Wenn Berichte gleichzeitig Klienten und Klientinnen und eine kontrollierende Behörde angemessen informieren sollen, sind Schreibstrategien und gute Kenntnisse für adressatengerechtes Schreiben essenziell. Sie sorgen dafür, dass Hilfe angemessen geplant werden kann und bereiten Entscheidungen über finanzielle oder soziale Ressourcen transparent vor, zum Beispiel die Zustimmung zu einem Antrag oder die Genehmigung von Ressourcen. So benötigt eine Behörde, die über eine Kindswohlgefährdung entscheiden soll, sehr spezifische Informationen über die familiären und sozialen Umstände dieses Kindes, um angemessene Maßnahmen in die Wege leiten zu können.

Berichte schreiben ist also Maßarbeit. Der/die Schreibende muss die Zielgruppe(n) des Berichtes klar fokussieren und entscheiden, welche Informationen in welcher Tiefe transportiert werden sollen. Um den zu erwartenden Informationsbedarf der Textadressaten antizipieren zu können, ist ein Perspektivwechsel nötig. Dabei können Strategien wie die Persona-Methode und die User-Story hilfreich sein, durch die spezifische Lesergruppen konkret und anschaulich werden. Und zuletzt – aber nicht unwichtig – ist jeder Bericht ein Beleg für die fachliche Qualität von Entscheidungen, Einschätzungen und Empfehlungen. In ihrer Arbeit werden Berichtende sichtbar und angreifbar, aber jeder Bericht ist auch eine Visitenkarte für fundierte Arbeit.

Wer mehr über gutes Schreiben von Berichten wissen möchten, findet im Praxisleitfaden "Berichte schreiben" viel Handwerkszeug für das Schreiben in der Praxis und Hintergrundinformationen zur Bedeutung des oft ungeliebten «Papierkrams».

Vita
Dr.in Simone Karras ist Dozentin am Institute of Language Competence der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Ihre Forschungsschwerpunkte sind Schreibdidaktik und Schreibforschung. Insbesondere beschäftigt sie sich mit dem wissenschaftlichen Schreiben und Schreibprozessen in beruflichen Domänen. Ihr Ratgeber "Berichte schreiben. Ein Praxisleitfaden für die Soziale Arbeit" ist bei UTB erschienen

Literatur
Linnemann, K.-H. (1998). Objektivität als Mythos: die soziale Konstruktion gutachterlicher Wirklichkeit: eine Analyse der sprachpragmatischen Strukturen in Gutachten und Berichten der Sozialarbeit/Sozialpädagogik. LIT.
Linssen, R., Wieland, N. (2017). Am Anfang ist das Wort – Wortschatz und Lesekompetenzen angehender Sozialarbeiter. Hochschule Hannover. https://doi.org/10.25968/opus-1072
Schimke, H.-J. (2023). Berichte/Dokumentation/Aktenführung. In J. Merchel (Hrsg.), Handbuch Allgemeiner Sozialer Dienst (ASD) (4. Aufl., S. 276–284), Ernst Reinhardt Verlag. doi.org/10.2378/asda4.art22
Timms, N. (1974). Der Bericht in der Sozialarbeit.Lambertus-Verlag.

geschrieben am 25.06.2025 von Simone Karras

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